(Berlin.) Vielleicht hat der Berliner Sänger ja damals nur eine Silbe verschluckt, als er vom „Haus am See“ schwärmte... das Haus am Waldsee jedenfalls existiert, wenngleich die Bezeichnung „Villa“ viel angemessener wäre. „Villa am Waldsee“ klingt – ungesungen - auch besser, mit traditionell-bodenständigem Stabreim („hıltıbrant entı hadubrant untar herıun tuem“, weiß der Philologe) und damit der Umgebung angemessen, befinden wir uns doch im bestbürgerlichen Zehlendorf, das der „Normalberliner“ nur auf dem Weg zum Schlachtensee durchquert, tief im Westen der Stadt, wo die Straßen (halbwegs) sauber sind und man über „Mietendeckel“ mit den Schultern zuckt, man mietet nicht. Auf dem Herweg im Wagen – hier kann man noch gefahrlos fahren, ohne mindestens vorwurfsvolle Blicke klimakonservativer Oberlehrer und ihrer Eleven zu spüren, auch selbst am ersten Mai ohne Furcht parken, das Auto würde unvermittelt mehr Treibhausgase freisetzen denn jemals zuvor, mit begleitender Lichtschau (davon unbenommen, stehen auch hier alle Ampeln auf „rot“, jede einzelne, die rote Welle ist wohl unter dem Stichwort „Leidensdruck“ einzuordnen, wie man es aus der Suchtmittelprohibition kennt) - passieren wir die US–Botschaft, die „echte“, nicht die Repräsentanz am Brandenburger Tor. Hier fanden einst viele Marines Unterschlupf, fast gegenüber eines „Alliiertenmuseums“ mit Rosinenbomber im Vorgarten, größer als sein Pendant am Olympiastadion, nur Besucher empfängt man eher sporadisch.
Unmittelbar nebenan des HaWs residiert derweil ein Pfadfinderheim(?) unter dem eigentümlich anmutenden Namen „Haus der Jugend“, kurz also „H (d) J“. An der Tür kündet ein Schild von siebzigjährigem Jubiläum und da beginnt man doch zu rechnen, aber nein: Alles gut, wirklich schon so lange her! Der Name... ist praktisch: da brauchten sich die Bürger damals (beinahe) keine neue Abkürzung zu merken! Als Kontrapunkt könnte das Haus am Waldsee auch wieder so firmieren, wie es bei der Erbauung 1922 getau- genannt wurde, „Villa Knobloch“ nämlich. (Der Vollständigkeit halber: Wir wissen absolut nichts über jene Pfadfinder und dieses Kürzel ist bestimmt nur ein unglücklicher Zufall!)
Die einstige Fabrikantenresidenz wirkt eindrucksvoll, aber doch gediegen, vor allem vermag das Grundstück mit direktem Seeanschluß den Neid des nicht ortsansässigen Passanten erwecken. „See“ ist ein dehnbarer Begriff im deutschen und könnte hier irreführen, wiewohl „Teich“ oder „Tümpel“ zu profan und mickrig klängen - der Waldsee wäre schneller durchschwommen als das Umkleiden dauert. Versteckt gelegen und nur für Anlieger zugänglich, möchte sich das Seelein keineswegs mit den beliebten Gratisschwimmbädern „um die Ecke“ messen, dem erwähnten Schlachtensee, der Krummen Lanke (tatsächlich nicht einer dortigen FKK-Badestelle wegen so geheißen!). Mit Genfer oder Starnberger kann aber nicht einmal der Wannsee mithalten, aus diversen Gründen auch abseits der Proportionen.
Beim Betreten des Grundstücks fällt ein erstes Kunstwerk in’s Auge, bzw. gleich deren zwei, LED-neon-skulptural an der Pforte, könnte Othoniel sein, ist Susanne Rottenbacher. Das Wasser ist da (auf der Rückseite), der Wald... eher nicht. Abgesehen von einer kleinen Obstplantage im Vorgarten (ob’s Birnen sind wie im Havelland oder Kirschen wie bei Ranewskajas? - wenn überhaupt noch irgendwo in Berlin, könnte man derlei Anspielungen hier verstehen, immerhin weist auch ein Schild – tatsächlich in’s Leere, der Intention nach aber auf einen „Büchertisch“). Daneben finden wir mehr Kunst, in Kreuzberg gibt es Crack und in Zehlendorf Cragg, Tony ist der mit Abstand bekannteste Name in der hauseigenen Sammlung; Programm und Ankaufspolitik stützen sich ansonsten auf lokale Talente statt internationaler Eliten (an der Solvenz des „Freundeskreises“ kann das nicht liegen, es sollten doch einige Sammler nahebei residieren... andererseits ist das natürlich immer noch Berlin, also eher Sammler von Flachbildschirmen). Schließlich durchschreiten wir einen freistehenden Gesteinskorridor mit eingelassenen Dracheneiern... na gut: unbehauen herausragenden Brocken. Der Durchgang ist schmal geraten, reicht aber nicht ganz bis an die Tür, fürchten Sie mangelnden Mindestabstand oder profane Platzangst, können Sie ihn mithin leicht umgehen.
Üblicherweise zeigt man an der Villa Kunst und das gar schon seit 1946, zuweilen aber auch Architektur. Heute geben sich Barkow/Leibinger die Ehre, deutsch-amerikanisches Kollegen(!...?)pärchen, einflußreich nicht allein dank seiner Bauten, sondern auch eines Lehrauftrags in Princeton. Die Karriere begann in der Bundeshauptstadt und – Moment, ist das nicht der graumelierte Herr, der uns eben im offenen englischen Sportwagen überholt hat?! Mag bloß Ähnlichkeit sein, also weiter im Text: - man bekennt sich überrascht davon, was sich bei Vorbereitung der Retrospektive nicht alles in den hiesigen drei „Lagern“ (-räume oder –hallen?) angefunden hat.
Kunst und Architektur haben sich in früheren Jahrhunderte häufig näher gestanden als heute, hierzulande zumindest - anderswo, in weniger demokratischen Regionen ist das anders, allein in der „freien Welt“ zählen andere Dinge inzwischen mehr als künstlerischer Anspruch: „form follows function, AND ideology“ in energieffizient sterilen Neubausiedlungen global gleichgeschalteter Monokultur. In diesem Zusammenhang kommen wir nicht umhin, den gleich einem eitrigen Schimmelpilz an das Gemäuer geklammerten Anbau zu erwähnen, der wohl Feuerleiter und Behindertenaufzug beherbergt. Kurze Anekdote am Rande: Einmal fragte ich den Barkeeper einer Mittigen Kneipe nach dem Verschlag, der da mit mutwillig eingezogenen Leichtbauwänden den Durchgang versperrt, sehr zu Ungunsten des Kleinbetriebs und erfuhr, es handle sich um eine mobile(sic!) Behindertentoilette (die regulären – zwei an der Zahl, wie reaktionär! - befindet sich die Treppe hinab im Keller). In den Jahren, die er dort beschäftigt ist, habe die nie jemand benützt... Ist es nicht auffällig, wie immer invalidenfreundlicher unsere Gesellschaft wird, desto weniger Kriegsversehrte hier herumlau- fahren?!
Angesichts mehrerer Posterstapel auf einer Fensterbank mit Aufschriften wie „...Der Showroom wird von elf maßgefertigten, lasergeschnittenen Stahlbindern überspannt, die etwa 45 Meter lang sind...“, denken wir sogleich „Kunst“ – Lawrence Weiner, bist du das?! Leider sammelte die schnell jemand ein und hing sie zu entsprechenden Architekturmodellen. Das könnte ein erster Unterschied sein: Empirik vs. Imagination. Daraufhin durcheilten wir zunächst einmal die Ausstellung, um den großzügig angelegten Garten – zu einem „Park“ ist er nur ein wenig zu klein geraten – zu genießen. Der beherbergt manches Kunstwerk, eine metallene Schleifenform von nicht-Richard-Deacon-sondern-Jo-Schöpfer, eine Wirbelsäule/Totempfahl von natürlich nicht Frida und nicht einmal Hans-sondern-Karl-Hartung, eine schwarze Stele von weder-Richard-Serra-noch-gar-Stanley-Kubrick-sondern–Katja-Strunz. Aber „was erlaube Haus“: alle Metallplatten, die doch eigentlich zur Identifikation dieser Werke dienen sollten, sind in gehörigem Abstand postiert, hat man hier etwas mit dem Virenschutz falsch verstanden?! Alsbald entfaltet sich ein munteres Suchspiel, so steht ein schwarzer Metalltisch in ohngefähr gleicher Entfernung zum Strunz-Schild wie die Stele, ist aber keine Kunst. Oder? Einmal fielen wir auf den schalen alten Scherz herein: – in diesem Fall: „Ist das Kunst oder der Gärtner ein (Serien-)Mörder, der seine Opfer mit Vorliebe in Kühlschränken und -truhen verstaut?“ Wenigstens riecht das Grabfeld ausrangierter Küchengeräte am Zaun nicht danach, ist tatsächlich auch ein Werk Thomas Rent- (also nicht: Haus-)meisters. Wie jedoch ist es um jene Leiter bestellt, die ganz harmlos tuend an einen Baum lehnt?
Hinter der „Bühne“ eines angedeuteten Amphitheaters mit steinernen Stufen entdecken wir eine Konstruktion Frank Barkow und Regine Leibingers, ursprünglich in Metall für den Hyde Park und ein dort beheimatetes Haus am See, die Serpentine Gallery, konzipiert, „mit dem Kent House in Kensington kommunizierend“. (Wir wollen es ja nicht zu hunnisch genau nehmen, aber das Internet verortet jenes Bauwerk in Knightsbridge..., findet weitere in Hammersmith und Bromley, bis nach Louisiana, USA!). Der Berliner „Remix“ ist aus Holz und mäandert so vor sich hin, Richard Serra haben wir schon erwähnt und jetzt stimmt sogar die Farbe, rostrotbraun. Aus mindestens einer Perspektive einem Vogel mit ausgebreiteten Armen gleichend, sind Sitzgelegenheiten eingelassen, Platz zu nehmen wagt heute aber niemand - es mag am periodisch einsetzenden Starkregen und der nicht vertrauenserweckenden Überdachung gelegen haben.
Nahe am Wasser gebaut, reiht sich dahinter ein Postkartenklischee an das nächste, watschelt eine beinahe handzahme Ente uns um die Füße und stellt ein Haubentaucher – oder Bleßhuhn: weiße Haube über schwarzem Kleid?! – den D-Day nach, entschlossenen Hauptes den einzig richtigen Landeplatz erkundend. Ins Spiel mit einer sich wenig kunst- oder architekturinteressiert zeigenden Babykröte vertieft, halten wir Ausschau nach der Nebelmaschine, die hier zusätzlich für Atmosphäre sorgt (nicht-Oliafur-Eliasson-sondern-Markus-Jeschaunig), legen dabei eine Schweigeminute für die darbende Berliner Clubszene ein, wohlwissend: Andere Musik im Geiste und der Moment hätte einen Hauch von „Bregenz“. Auf dem Rückgang zum Haus konstatieren wir eine bislang unvermutete Ähnlichkeit der Strunzschen Stele mit jenem Vogel, wenn nur die Tauben noch ein wenig am weißen Haupt arbeiten...
Drinnen fragt der Bauherr – Kurator! -, wie denn ‚das neue in die Welt käme?’ und antwortet sogleich: „durch Neukombination des alten”. Das scheint perfekt in den Kiez zu passen, Stichwort „Altes Geld“; in anderen, sich sehr „progressiv“ wähnenden Stadtteilen mag man Einwände äußern... andererseits auch traditionell gedacht: Was ist eigentlich aus dem „Genie“ geworden? Der Titel der heutigen Ausstellung lautet im übrigen Revolutions of Choice. Als wir im folgenden die magischen Worte „Biennale“ und „Venedig“ vernehmen, zucken wir zusammen, erinnern uns aber: „Richtig, gibt auch eine für Architektur!”
Zuguterletzt („endlich“, mögen Sie einwenden) nehmen wir uns Zeit für die Exponate, Modelle und Bauzeichnungen zwischen Kunst und Architektur - wie könnten wir da nicht an Christo denken?! Flüstern manches Mal „Waben“, „Pyramiden“, „Polder“, auch „Backform“ oder „Klopapierrolle von oben“, sehen Menschen im Käfig gleich MMA–Kämpen - das mag ein weiterer Unterschied sein: Spieltrieb und Sinn für Humor. Wieviele trübe Dienstagnachmittage sich wohl durch „kreative Übungen“ mit jenen jedes Modell bevölkernden Figürchen aufgelockert finden?! Darunter gar Gürteltiere und Krokodile (Dinosaurier?), die gebannten Blickes dem Treiben der Menschen im Gehege folgen. Mindestens praktisch, wenn die Kinderverwahrstelle unter Quarantäne steht! Alles setzt sich im zweiten Stockwerk fort, die Formen aber wiederholen sich, das ist bestimmt der B/L-Stil, zu dem auch Einflüsse aus Töpferei und Terrakotta zählen mögen. Ein raumgreifendes Labyrinth von feingesponnenen Metallfäden erinnert uns, endlich zu googlen, welche Galerie nun Chiharu Shiota unter ihre Fittiche genommen hat, nach jener Pleite in der „Potse“?!
Als „Kunst“ präsentiert, wären viele dieser Werke gallerientauglich, das gilt banausenhaft gesprochen aber auch für den mumifizierten Mückenkörper zwischen beiden Läden eines Doppelfensters, in Photographie oder Readymade. Im Endeffekt ist es der Kontext, der Kunst macht. Wenn das schöpferische Paar berichtet, es ‚habe ein Büro und Familie in Berlin, baue (vulgo: verkaufe) aber woanders’, dann klingt das schon arg nach „Künstler“.
Wir wissen nicht, wie der Kontakt zustande kam, warum die Wahl gerade auf diese beiden fiel – sollte da jemand aus dem Freundeskreis einen Firmensitz oder ein Ferienhaus in Auftrag gegeben haben? – unbedingt aber ist ein Abstecher an den Waldsee zu empfehlen und sei es bloß zur Horizonterweiterung über die Grenzen der Kunst hinaus.
Barkow/Leibinger, Revolutions of Choice, 18 July-04 October, Haus am Waldsee
World of Arts Magazine – Contemporary Art Criticism
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