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  • Christian Hain

Radioaktive Nüsse, Politik, Blue Chips und Planetarien. Immer noch BAW'18


(Berlin.) Wenn Sie anläßlich Ihres Besuchs von Julien Charrières Ausstellung in der Berlinischen Galerie, die kürzlich im Rahmen der Berlin Art Week eröffnet wurde, um den Künstler mit einem Preis auszuzeichnen, nicht über einen perfide im dunklen Raum vor der Leinwand des einführenden Films plazierten schwarzen Sitzblock stolpern - danken Sie mir. Genau dies ist mir nämlich widerfahren, woraufhin sich ein offiziell wirkender Herr spontan für das Aufzeigen verbleibender Schwachstellen im Ausstellungsdesign, die bis zur Eröffnung noch zu beheben waren, bedankte. (Wir befinden uns immer noch auf der BAW’18 Vorbesichtigungstour.)

Gebürtig in der Schwyz, ausgebildet und wohnhaft in Berlin, genießt Julien Charrière das Leben eines klassischen Abenteurers. Urlaub bedeutet für ihn nicht Schlangestehen vor dem Louvre oder Mojitoschlürfen auf Koh Samui, nein, Charrières Reisen sind gemeinhin von größerer Strahlkraft. Anknüpfend an eine Stippvisite in Tschernobyl vor Jahren, hieß es diesmal auf ohne, aber nach, Bikini. Seit den explosiven Happenings der US Nuklearstreitkräfte in den 1940er und 50er Jahren wird das Bikini Atoll nicht nur in Künstlerkreisen als das Amerikanische Mururoa gerühmt. Von seiner Reise brachte Charrière eine Reihe von Heimvideos und Naturphotographien mit, idyllische Eindrücke der Landschaften über und unter dem Meeresspiegel, vieldeutig verziert mit Funken und Strahlen.

Im Hintergrund zeigt eine Leinwand eine Schiffsschraube in den trüben Gewässern, die der Künstler durchschwamm, allerdings bleibt offen, ob die Lautuntermalung durch Herzschläge und Lungenzüge aus Originalaufnahmen seiner Tauchgänge besteht oder einer public domain Soundbibliothek entnommen wurde. Im Vordergund hängt eine Schiffsglocke, die Charrière nach historischen Plänen rekonstruieren ließ. Stahl und Kabel verbinden sie mit einem kaum minder voluminösen Bündel mit Seewasser gefüllter, transparenter, Plastikbeutel, die extra für die Ausstellung nach Berlin transportiert wurden (würde sich irgendetwas ändern, wenn er es nur vorgetäuscht und tatsächlich Leitungswasser der Berlinischen genommen hat?). Letzteres mag an ein menschliches Herz erinnern - das Bündel in seiner Gesamtheit -, oder auch an Brustimplantate - die einzelnen Beutel. Die physische Verbindung fast in Form einer Waage schafft eine instabile Balance, die- oh-oh: Symbolik. Ausstellungsbesucher finden sich mithin nicht einfach in stürmischen Gewässern wider, sondern direkt auf den Meeresgrund versetzt. Aus der Installation entstehende Schattenspiele auf dem Fußboden sind nicht minder interessant, Quallen vielleicht?

Wir hören von Kokosnüssen im, nein: auf! Bikini, die Cäsium mit Calcium verwechseln und das radioaktive Mineral aus der Erde ziehen (ein auch ein Stückweit nachvollziehbarer Fehler, oder wie ist es um Ihre persönlichen Chemiekenntnisse bestellt?). Die nicht ganz schlauen Nüsse kommen herum in der Welt, surfen einen Strom hier, eine Welle dort, und gründen endlich einen Stammbaum fern der Heimat. Lecker.

In der Berlinischen Galerie reichern sich bloß bleierne Nüsse gleich Kanonenkugeln in Haufen an (die Cafeteria entschied sich, die offensichtlichen Cross Marketing Möglichkeiten ungenutzt zu lassen). Der Ausstellungstitel As We Used to Float (in etwa: „Wie wir trieben“) soll uns einbläuen, wir seien „nicht länger bloß passive Beobachter“, sondern „ganz aktiv im Geschehen“. Er könnte auch anders gelesen werden: Kommt Zeit und Natur, verwandelt sich selbst das den Tiefen vor Bikini rostende und verrottende Kriegsschiff in ein Korallenriff. Die Natur überlebt (gar jeden Klimawandel, wie der Ketzer sagen möchte), es liegt in ihrer Natur, die die aller Dinge ist.

Dagegen verneinte der Künstler auf Nachfrage jede Kenntnis der Worte „panta rhei“.

Künstlerische Analogien zu aktuellen Themen wirken häufig bemüht, unangebracht, angepaßt und abwegig gar, doch können wir uns vielleicht auf eines einigen: Der Mensch ist gemein zur (nichtmenschlichen) Natur. Und Nuklearwaffen sind böse.

nk...irgendetwas, eine andere Berliner-Kunstvereins-Gesellschaft nahe des Galerieviertels zwischen August- und Linienstraße, möchte uns von dem Antwerpener Kunstraum A37 90 89 (eine Telefonnummer, keine Bikinifigur) der 1960er Jahre erzählen. Beteiligte Künstler waren bei weitem mehr mit Politik denn mit Kunst beschäftigt, ein Revival paßt perfekt in unsere Zeit und gesellschaftliches Klima. Eigentlich brauchen Sie nicht mehr zu sehen als ein Poster mit der Hausordnung: „–> Keine Beschränkung durch Politik und Moral“ (...) „–> Keine Beteiligung undemokratischer Gruppen oder autokratischer Personen“. Es handelte sich hier nicht (offen) um eine neodadaistische Bewegung, die jeden (Selbst-)Widerspruch feierte. A37 90 89s Geschichte mündete in einen Putsch, meisterhaft exekutiert von Panamarenko (Henri van Herwegen), der sich kurzerhand zum Maximo Lider erklärte, alle Türschlösser austauschte und den (mehr oder minder) öffentlichen Raum in sein persönliches Atelier transformierte. Geschichtsstunde.

Zwischendurch entstanden Werke von Carl Andre und anderen, aber eher nicht ihre besten.

Im Obergeschoß wartet eine zweite Ausstellung und die Kuratoren beklagten Geta Brătescus Abwesenheit bitterlich: vor kurzem verstorben, konnte sie der Eröffnung leider nicht persönlich beiwohnen. In Jahren der Verfolgung durch rumänische Autoritäten, die einige Ansichten und Charakterzüge mit A378089-Künstlern teilten, schuf Brătescu ein breitgefächertes, vornehmlich abstraktes, Œuvre. Eine gute Wahl, kuratorisch gesehen. Der wahre Grund für einen Besuch, oder mindestens einen Blick im Vorübergehen, befindet sich jedoch an der Außenfassade: Möglicherweise beeinflußt von klassischen Zeichentrickfilmen, verschönerte Ceal Floyer das Haus mit vielen Durchfahrtshöhe-Schildern auf der Höhe der Installationskunst.

Unser Ausflug nähert sich damit auch schon seinem (fast) Endpunkt, dem neueröffneten Palais Populaire, in den die Deutsche Bank nun ihre Kunstsammlung verlegt hat. Gleich dem vorherigen Präsentationsraum ist auch dieser Unter den Linden beheimatet, ein wenig weiter im Osten nur, wo man stolzer neuer Mieter – oder Eigentümer? - eines ehemaligen Preußischen Prinzessinnenpalastes ist. DB-Angestellte werden aktiv zu einem Besuch der Räumlichkeiten ermutigt (vulgo: eine Demonstration der eigenen Bildung, seines Sinns für soziale Verantwortung und kulturelles Engagement, sowie des Über-den-Tellerrand-Blickens auf’s große Ganze im Gegensatz zu jedem Schubladen- und Scheuklappendenken, wird sich hinblicklich der nächsten Gehaltsrunde sicherlich positive auswirken), man begegnet Anzügen, Frisuren und Gesichtern wie sonst kaum je im Kunstkontext (außerhalb von Christheby’s Auktionsräumen).

Und doch wage ich zu bezweifeln, daß die nächsten Boni tatsächlich auf der art Berlin (oder Positions) bleiben.

Die Ausstellung betreffend werfen wir nur einen Blick auf die, gekürzte, Künstlerliste (alle Werke sind „auf Papier“, i.e. Zeichnungen oder Zeichnungsverwandt): Artschwager-Cage-Naumann-Baselitz-Trockel-Weiner-Kapoor-Knobel-Riley-Lüpertz-Ofili-Beuys-Kentridge-Richter-Kippenberger-Yan-Polke-Warhol-Rosenquist-Schütte-Murakami-usw-usf. Interessanter wird es nicht. Blue chips, nicht in jedem Fall mit ihren besten Werken (auf Papier). Nach einer Weile beginnt der Besucher, gar nicht mehr auf die Kunst zu achten und stattdessen nurmehr die Labels an den Rahmen zu lesen, eine mentale Checkliste abhakend. Vielleicht könnte man am Eingang Bingokarten... ?

(Der Aufrichtigkeit halber sei angemerkt, es sind hier auch Werke jener weniger bekannter Künstler zu finden, die die DB Sammlung in ihren vormaligen Räumen ausgestellt hat, bei ihnen handelt es sich aber gewiß nicht um die Hauptattraktion.)

Im gesamten Gebäude genießt nur ein Treppenhaus mit Geländer, das ursprünglich aus einem anderen Schloß stammt, Denkmalschutz. Es dient nun einem Zeichen-Film nicht von William Kentridge, sondern von Zilla Leutenegger, zur Bühne.

Die Deutsche Bank betont, dies sei ein „Palast für den Plebs“, nein Verzeihung: „für alle“ natürlich, mit freiem Eintritt jeden Montag. Selbst solche finden Einlaß, die von einem Konto bei der Deutschen Bank nicht einmal träumen dürfen; Künstler zum Beispiel.

Meine volle Sympathie (ehrlich!) galt dem Caterer – dies war der letzte Stop der BAW-Pressetour, und sie mündete stilgemäß in Wein und Champagner um vier – als er zwei aufstrebende Kolleginnen ansteuerte, die ganz ohne jeden Zweifel das Ambiente jeder Umgebung positiv beeinflussen würden, um ihnen ausgiebig über zukünftige Events des Hauses Auskunft zu erteilen: Dies ist nicht bloß ein Palast für alle, und die Kunst, sondern obendrauf auch noch eine feine Bar. Erste Grundregel der Bewirtungsbranche: „Atmosphäre bedeutet Ablenkung, schaff' sie mit Sport im TV oder hübschen Gesichtern und festen Körpern. Die Kerle kommen automatisch."

Eine Sache noch: Planetarien sind was feines, oder wie es der Leiter des Hamburger Planetariums, als er angelegentlich der BAW eine Dependance im ausgedehnten Vorgarten der Künstlerresidenz Kunstquartier Bethanien eröffnete, ausgedrückt hat: „Im allgemeinen kommen Sie zweimal zu uns, mit Ihren Eltern und Ihren Kindern“.

Dieses leicht verkleinerte Exemplar ist von außen milchweißgestrichen und gleicht einer jener kugelförmigen Designlampen (in Übergröße), die auf dem Boden plaziert, ihrerseits an solide Eisbälle erinnern. (Yeti Exkremente könnten eine andere Assoziation sein, auch eitriger Herpes oder eine dieser Charrière Kokosnüsse, übermalt, oder – genug.) Planetarien erfreuen sich einer langen und glorreichen Geschichte (Gottorfer Riesenglobus irgendwer?), und dieses ist als Abspielort für Kunstfilme vorgesehen, was immer noch weniger extravagant und kostenaufwendig ist als ein Neubau der Berliner Mauer. Schon werden optimistische Pläne für den Export von „Filmkunst für Planetarien“ geschmiedet, hegt man „Ideen für die nächsten zwanzig Jahre, mindestens“, und visiert als erstes eine US-Tour - "bald" - an. Nie das Kürzel „IMAX“ gehört? Oder durch jene eckigen Brillen geschaut, die Planetarien schon bald ersetzen könnten, ganz virtuell?

Als erster darf der irische Künstler, Graphiker und Videospielentwickler David O’Reilly die Kugel bespielen. Der Gast lehnt sich zurück, in Gänze auf den Rücken gar, und lauscht sphärischen Klängen, während allerlei Gegenstände in seine grobe Richtung fallen ohne jemals aufzuprallen (oder fielen sie aufwärts, aus dem Blick?). Bilderbuchblaue Himmel wechseln in das Weltall, schwarz mit grünen Nebeln, aber im Grundsatz bleiben die Animationen gleich, nur die Objekte (die jedem klassischen Jump’n’Run zur Ehre gereichen würden) ändern sich. Das kann auf Dauer ermüdend wirken (und der Film dauert), sobald Sie die Grundidee, eine Reise durch die Existenz(?) von (vor der) Geburt über das Leben bis in und nach den Tode, durchschaut haben.

Da gibt es einzelne Zellen, Spermatozoen, Krustentiere, Fische, größere Fische, auch Säugetiere, Batterien und Spielzeugautos. Im Inneren eines UFOs wird die Sache psychedelisch: Kennen Sie diese Handkaleidoskope, kleine Röhren die man dreht und durch die man guckt? Wer hätte gedacht, daß man denselben Effekt heute mit der neuesten und teuersten Technik erreichen kann? Wirbelströme, Strudel und grelle Farben, hätten wir die Chance gehabt, das Werk vor der Fragerunde mit David O’Reilly zu betrachten, „jemand“ hätte ihn ganz sicher angesprochen: „Klasse Film Digga, aber ma’ unter uns: hast 'ne Menge Pappen geschmissen?“

Das Ausflugsziel nach Wahl, kommt der Hoffman/Leary Fanclub in die Stadt. Aber seien Sie gewarnt: Zum Ende hin wird es ein schlechter Trip, mit Knochen und Schädeln und nicht einmal im Kunstsinne surrealistisch.

Der Eintritt ist frei, das ist billiger noch als Pilze, es sei denn, Sie ernten selbst. Aber werden jene kosmischen Entitäten moderne Kommunikationsmittel wirklich dem altbewährten Channeling vorziehen? Vielleicht ist es ja genau das, was hier fehlt: Der gute alte schamanische Führer.

Bevor Sie fragen: Die zwei weißen Punkte links sind keine Reflektion der Notausgangsschilder, sondern Beschädigungen in der Leinwand, wie ein Techniker mir eilfertig bestätigte.

Berliner Kunstwochen/Berlin Art Week in der Berlinischen Galerie, dem n.b.k.v., dem Palais Populaire und auf dem Mariannenplatz vor dem Kunsthaus Bethanien

World of Arts Magazine – Zeitgenössische Kunstkritik


 


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