top of page
  • Christian Hain

Phantastische Tierwesen und wie sie zu malen sind – Ilna Ewers-Wunderwald am Bröhan Museum


(Berlin.) Es wird hoffentlich niemand protestieren, beginnt dieser Artikel auf einem wenig bekannten Blog mit den Worten, „ein wenig bekanntes Museum befördert die Wiederentdeckung einer wenig bekannten Jugendstil-Künstlerin.”

Bröhan Museum trägt den Namen seines Stifters, eines Kunstsammlers, der es in den 1970er Jahren begründete und in den 1990ern an die Stadt Berlin übertrug. Ilna Ewers-Wunderwald war ein bekanntes Gesicht im Berlin der Jahrhundertwende – der vorvergangenen, von 18xx zu 19xx -, gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem Autor phantastischer Romane Hanns Heinrich Ewers. Ewers gestaltete auch die Titelheldin eines seiner bestbekannten, weltweit erfolgreichen und mehrfach verfilmten Werke nach ihr, Alraune (eigentlich eine Pflanze, deren halluzinogene Eigenschaften ihr einen Ehrenplatz in der Religions- und Kulturgeschichte Europas verschafften). Nachdem das Paar von Düsseldorf nach Berlin zog und HH Ewers künstlerischer Leiter eines Kabaretts wurde, versuchte die eher extrovertierte Ilna sich eine Zeitlang auf der Bühne, begnügte sich damit jedoch nicht lange. Das Multitalent übersetzte gemeinsam mit ihrem Mann französische Klassier ins Deutsche, gestaltete seine und anderer Autoren Buchrücken, entwarf ihre eigenen Kleider und begann vor allem eine Karriere als Malerin.

Das wiedererwachende Interesse an Ewers-Wunderwald ist in erster Linie der Arbeit eines Forschers zu verdanken, der kürzlich über sie veröffentlichte und mit der Idee zu dieser Ausstellung an das Bröhan Museum herantrat. Kaum eines ihrer Werke, von denen ohnehin nie über die Maßen viele existierten, fand je Einlaß in ein Museum und von denen, die in privaten Sammlungen überdauerten, ist häufig nicht einmal mehr der Titel (zweifelsfrei) bekannt. Bröhans Kuratoren, die die Ausstellung (fast) auf den Dachboden, in einen „Black Box“ genannten Ausstellungsraum verlegten (allerdings sind nur drei Wände nicht weiß gestrichen), standen hier vor keiner leichten Aufgabe.

Ilnas auffallend auffälliger Mädchenname “Wunderwald” war kein Pseudonym wie nicht zuletzt ihr Cousin, der etwas besser bekannte Maler der Neuen Sachlichkeit, Gustav Wunderwald, beweist, und etwas überraschend offenbart er auch keinen jüdischen Familienhintergrund. Die Vermutung, sie schätzte ihn ob seiner Extravaganz umso mehr, scheint nicht unangebracht. Die märchenhaften, magischen, Anklänge könnten der einzige Grund gewesen sein, ihn auch nach der Hochzeit beizubehalten und nicht etwa bewußte “feministische” Anwandlungen, selbst wenn ihr später an den Tag gelegter Geschmack in Kleidung und Frisuren manchmal in jenem Licht betrachtet wird.

Jugendstil, die deutsche Art Nouveau ist nicht Art Deco, wiewohl die Verwechslung zu den häufigsten Fehler selbst unter Kunstinteressierten zählt. (Eben noch einmal gegooglet:) Nouveau - natürlich, floral, verträumt; Deco - technisch, linear, nüchtern. Beide trachteten, Kunst mit Kommerz auszusöhnen und verschiedenste Lebensbereiche zu durchdringen. Das einzig erhaltene von Ilna Ewers-Wunderlich entworfene Möbelstück ist ein Tisch von ebenso formvollendeter Ästhetik wie Nutzbarkeit. Mancher mag sich fragen, ob sie nicht (noch) größere Erfolge hätte feiern können anstatt bereits zu Lebzeiten in Vergessenheit zu fallen, hätte sie sich in der damaligen Hauptstadt der Kunst - und des Designs! - angesiedelt. Doch scheint Paris gänzlich zu fehlen auf der Liste ihrer Reiseziele, die ansonsten durchaus lang ist, Ewers und Ewers-Wunderwald sahen viel, von Mittel- und Südamerika bis Indien und immer wieder Capri, ihre Lieblingsinsel. In diesen Kontext gehört auch eine kunstvoll gestaltete Speisekarte für die Hamburg-Amerika Linie (1905). HH Ewers schrieb zeitgleich Werbung für die Reederei, welche Tätigkeiten dem Paar regelmäßig freie Überfahrt eintrugen.

Eine der beindruckendsten Schaffensphasen in Ilna Ewers-Wunderwalds Laufbahn ist dem Aufenthalt in Indien 1910 zu verdanken. Von Tempelfriesen inspirierte Abstraktionen, präzise Linien, einfarbig oder bunt, weder zu realistisch noch zu ungeordnet. Ewers-Wunderwald blieb stets offen für neue Eindrücke, selbst wenn sie die Augen schloß – der Titel eines jener Werke lautet schlicht Opium. Wer denkt, diesen Stil mehr als genug gesehen zu haben, in Art brut Ausstellungen in Sanatorien und auf “alternativen” Musikfestivals, sei erinnert: Damals war es neu(er), und sie hatte echtes künstlerisches Talent. Ach so stereotypisierende Szenen, Maharadschas, Schlangenbeschwörer, Fakire, Dschungel und Mythen (und wenn es tatsächlich noch so war?), letztere der europäischen Malerei ebenso neu wie im Kern altvertraut. Kein halbgeschulter europäischer Betrachter kommt umhin, jene einen abgeschlagenen Kopf im Bastkörbchen mitführende Kali auf einem Ausritt mit Krokodil mit den zahllosen Judith und Holofernes Bildern der okzidentalen Kunstgeschichte zu assoziieren und natürlich war Ewers-Wunderwald sich dessen auch bewußt.

Bemerkenswerterweise weigerte sie sich zeit ihres Lebens, Drucke, Editionen jedweder Art, ihrer Werke anfertigen zu lassen, vielleicht war sie selbst zu sehr Individuum dafür. Die offensichtliche Ausnahme sind Buchillustrationen, die zugleich andere, größere, Werke vorbereiteten, mehr und mehr in die Sphäre des Phantastischen eintauchend. In den 1910ern ist es ihr nicht mehr um bereits existente Mythen zu tun, mehr und mehr schuf sie eigene Räume, vorzugsweise Unterwasserwelten, von Meermenschen und Seeungeheuern bewohnt (nein, Guillermo del Torro hat diese Bilder nie gesehen, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht. Und selbst wenn so manche Kreatur hier wie ein bildgewordener Diener Ctulhus wirkt - obschon fast derselben Generation angehörig, schaffte HP Lovecraft den Durchbruch erst einige Jahre später). Denken Sie stattdessen an die Kunstgeschichte, Boschsche Höllenweltenauf der einen und Japanische Drucke auf der anderen Seite. Ewer-Wunderwalds Fabelwesen stehen auch in der Tradition früherer Werke aus Indien, ganz realistischer Studien von Pflanzen und Krokodilen bis hin zu einem Nashorn à la Dürer, ein Stil den sie auch später noch weiterverfolgte (manche dieser Bilder wirken fast wie Sybille Merian nach einem Japanisch-Crash Kurs).

Wer länger über Ewers-Wunderwalds Inspirationen und Idole spricht, kann Namen wie William Blake, le Douanier Rousseau, und - deutschsprachige Art Nouveau mit Symbolistischem Flair - Klimt kaum verschweigen. Ein Selbstportrait, Diana von 1909, stellt eine ganz eigene Version von Manet’s Olimpia dar, mit abstrakten Mustern und phantastischen Szenen im Hintergrund (die auch wiederum große Vorbilder zitieren könnten). Eine zweite Ehe mit einem Leipziger Komponisten, der gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs fallen sollte später unternahm die Künstlerin in den 1930ern wieder eine Weltreise, diesmal zu Fuß. Oder so behauptete sie, schon ihre künstlerische Arbeit ist kaum dokumentiert und von ihrem Privatleben noch weniger bekannt. Möglicherweise kam sie nicht weiter als bis Capri, einmal mehr. Das früheste und das späteste ihrer Werke am Bröhan Museum, beide nebeneinander gezeigt, zeigen jene Insel – fast ein kreiselnder, Mandala-artiger Aufbau der Ausstellung.

Ilna Ewers-Wunderwald, Mandrake des Jugendstils, 28. Februar-16. Juni 2019, Bröhan Museum World of Arts Magazine – Contemporary Art Criticism


 


bottom of page