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  • Christian Hain

Nigeriawochen bei M(c)GB, mit Otobong Nkanga, oder: Miß- und Unverständnisse


(Berlin.) Soeben in Otobong Nkangas Ausstellung There is no Such Thing as Solid Ground am Martin Gropius Bau angekommen, betritt der Besucher einen Zen-gleichen Steingarten und zweifelt, ob das überhaupt so vorgesehen und gestattet sei - immerhin verläuft hier eine deutlich erkennbare Demarkationslinie zwischen Kunst und nicht-Kunst. Da andere jedoch forsch voranschritten und die Wachmannschaft nicht intervenierte, ließen auch wir dem Herdentrieb freien Lauf. Eventuell haben auch alle, Gäste wie Angestellte, auch nur zuviel Zeit am „Bahnhof“ verbracht... Auf dem Kiesfeld wechseln die Assoziationen rasch ins morbide, fühlen wir uns angesichts diverser Marmor- (oder Metall-?) platten im Boden auf einen (potentiell jüdischen – Stereotyp? Ja, aber Kiesel...!) Friedhof versetzt, wenngleich keine Daten oder sonstigen Inschriften den Eindruck vertiefen. Die Kiesel sind „whitefacing“ mittels Kreide und das hätten wir nicht erwähnt im Falle der Urheberschaft eines anderen Künstlers: Identität auf dem globalisierten (Kunst-)Markt, das ist kompliziert.


Otobong Nkanga ist Nigerianerin, lebt in Belgien und schafft keineswegs „ethnische“, sondern durch und durch „globale“ (jetzt bloß kein „-isierte“ anhängen!) Kunst, die sich, wie wir hören, auch mit „Kolonialismus“ beschäftige, folgt sozusagen den Kolonialisten nachhause statt Mama Afrika in ihrer Unabhängigkeit aufzubauen (sagen, oder denken, Sie bloß nicht so, das ist gefährlich!). Als wir die Kiesel zurücklegen, wiederum unsicher, ob denn auch das Aufheben zulässig war, wenn schon Darüberschreiten gestattet ist, lassen weiße Spuren an den Fingern uns nach Pferd oder Barren Ausschau halten. Es ist aber doch kein Magnesium, der Gropiusbau keine Turnhalle und „zurück in den Sportunterricht“ war nur ein Alptraum. So (naja: relativ) beeindruckend diese erste Installation auch sein mag, treffen wir hier bereits auf ein Hauptproblem der Ausstellung, die vollständige Abwesenheit jeglicher Erklärungen vor Ort und Stelle nämlich. Derlei gibt es gar nichts, nothing, niente, nada, rien, ohunkohun – zumindest nicht außerhalb des Katalogs (5€). Wer jenen durchblättert, findet ganz am Ende allerdings einen eingeklebten Teil mit „Ausstellungstexten“ – das könnte jetzt peinlich sein: Hingen die nur zur Preview noch nicht oder sollten wir sie übersehen haben (ausschließen sollte man nie etwas, schon gar nicht die Möglichkeit eigenen Irrtums)?! Wie dem auch sein, unbedingt läßt sich eine Diskrepanz zwischen „what you see“ und „what you - are supposed to – get“ konstatieren: Ohne Erklärbuch geht hier (fast) gar nichts.


Im zweiten Raum treffen wir auf die „digital“ anmutende, dabei doch Acryl-Zeichnung eines halben Körpers (verstümmelt oder nicht fertiggeworden?), fast marionettenartig an Fäden bzw. Linien baumelnd, nebst einem englischsprachigen – also in keiner von Nigerias über 300 präkolonialen Sprachen gehaltenen – Gedicht auf „Grabsteinpapier“, das von Amore, Atmung und Assimilation zu handeln scheint. Eine kleine Installation/Skulpturengruppe in der Mitte des Raumes gleicht einer Gruppe Tafelbergen mit je mittigem Auffangbecken (könnte Stammgäste mithin nach Lee Buls Südkorea zurückversetzen), potentiell künstlichen Ursprungs: Hinterlassenschaften subterraner Ressourcengewinnung, vulgo: Minenbaus. Ein begleitendes Video auf – sehr – kleinem Bildschirm, mit – sehr – leise geregeltem Ton dokumentiert die Künstlerin persönlich, redend und sich bewegend, gar robotischen Tanz andeutend.

Es mag eine Weile dauern, bis Sie sie erspähen, doch steht in derem Hintergrund dieselbe Installation wie hier im Raum und daraus schöpft sie endlich Asche, Sand oder Aussaat, sie weithin zu verteilen. Mysteriös. Bei genauerer Betrachtung könnte das auf Goldwäschereien - von Nuggets im Schlamm, oder andere Funkelsteine verweisen, Afrika->Bodenschätze->blood diamonds? Was sagt der Miniaturkatalog? - ‚Ressourcen, inspiriert von einer Reise durch’ Deutsch-Südwe-, `tschuldigung: ‚Namibia’! Bingo!


Weiter geht es mit einer Serie belangloser Zeichnungen und einer Soundinstallation im Dunkeln (nein, da versteckt sich niemand, durch und in Schwärze getarnt!), mit vielen Hockern in (un-)sozialem Abstand postiert - an dieser Stelle ist es aber einmal an der Zeit, den MGB zu loben: Seit unserem letzten Besuch hat man den Desinfektionsmitteleinsatz merklich zurückgefahren, jeglicher Zusammenhang mit meinen Worten steht allerdings zu bezweifeln. Lehnen wir uns zurück und lauschen afrikanischen Klängen zu nicht minder afrikanischem Gesang (das ist jetzt ganz und gar „stereotyp“, oder? Die haben schließlich die gleichen Töne zu produzieren und zu verkaufen wie jeder andere auch, wo kämen wir sonst hin? Sind schließlich alle gleich").

Damit sind wir bereits an einem Ende der Ausstellung angelangt, machen kehrt, passieren erneut den “Friedhof”, und erreichen eine kleine Schuppendestillerie – steht der Sinn nach selbstgebranntem wie bei Opa auf dem Hof?

Spätestens hier macht sich der Informationslockdown ärgerlich bemerkbar, immerhin finden sich ein paar – dieses Mal wirklich beeindruckende – Zeichnungen an der Wand, mit Motiven irgendwo zwischen Muschel, Ölfleck und Kartoffel (nein, nicht „rassistisch“ für Deutsche oder Iren) im Querschnitt, in Schattierungen von schwarz und grau. Frei zu bedienen ist die „Destillerie“ nicht und das schlaue Buch klärt auf (in mehr, und komplizierteren, Worten): 'Panta rhei, in Stoffen und „Politik“; Verdunstung ist Transformation'.


Folgt der Auftritt zweier Performer (augenscheinlich „racially profiled“, oder jedenfalls besetzt) in hautengen grauen Leggins, deren eine zu bemitleiden war ob der ebenso unvermeidbaren wie unvorteilhaften Schweißflecken und es war nicht einmal ein sonderlich heißer Tag – diesen „Sommer“ enttäuscht der Klimawandel wieder auf ganzer Linie. In einem auf den Boden gemalten „Labyrinth“, und hier prangt jetzt doch das Gebot: “Bitte außerhalb (Anm. d Red.: ß lives matter!) der Zeichnung bleiben“, dreht die sich immerzu um die eigene Achse, läßt dabei ein Bein nachschleifen und sorgt so für einen Teil der Geräuschkulisse im Raum, neben gelegentlichem Grunzen und Aufstampfen ihrer ansonsten stillstehenden Kollegin - Unmutsbekundungen, die ich anfänglich auf mich bezog, glaubte an ein Photographierverbot selbst zur Presse Preview und machte mich mit gestammeltem „habe nicht... euch... nur“, dabei auf den Boden deutend, zum Affen (nein, das soll absolut keine „rassistische“ Anspielung sein, honi soit, qui mal y pense!). Es dient wohl alles nur dem Rhythmus, den „sie“ nicht wirklich „im Blut haben“ (oder nicht mehr, seit dem Wegfall vielfältiger kultureller Prägungen bei je gegenseitigem Exklusivitätsanspruch in der neuen globalen Einfalt, die noch jeden Traum von der Möglichkeit anderer Lebensweisen als „Exotismus“ brandmarkt). Erwähnten wir bereits, daß beide Blumentöpfe auf ihren Köpfen balancieren, wie man das eben so zu tun pflegt in Lago- überall natürlich, in Berlin, London, New York, Rio, Tokio, alles gleich, alles eins? Entgegen der Versicherung im Katalog fixieren sie nicht den Boden, sondern jeden Gast einzeln, immer in die Augen. Dazu lesen wir, Frau und Pflanze ‚führten hier einen Dialog’ (ach, wären beide bloß immer gleich beredt...) und letztere wurden vor Jahrhunderten von Afrika nach Asien zwangsmigriert. Der Titel des Werks lautet Diaspora und die Linien auf dem Boden sollen Staatsgrenzen imaginärer Nationen symbolisieren, willkürlich gezogen so wie viele in Afrika.


Endlich ein letzter Raum mit einer weiteren Installation: Ein Kreis auf dem Boden, ein Stein der elektrisch angetrieben sich immerzu um die eigene Achse dreht (haben wir ähnliches nicht bereits beschrieben, mit anderem Akteur?) vor „mythologisch“ anmutender Zeichnung von Schwärze des Weltraumes, menschlichem Körper, Baum und undefinierbaren Formen. Ok. Schwarze Galaxien..., schwarze... Löcher (immer diese „rassistischen“ Astronomen!)? Urplötzlich ein Knall, Lärm gleich einem Ventil beim Dampfablaß – Sauerstoff oder anderes Gas? Can’t... breathe? Wie lauten die Verse jenes Gedicht zu Beginn noch gleich? ”Breathing relentlessly // On a sliding territory //... // Gasping desperately”, in etwa also: „Rückhaltlos atmend // Auf rutschendem Grund //... // Japsend verzweifelt“ ... Schnappatmung? Cop-induziertes schwarzes Asthma? Aber definiert man sich denn auch in Nigeria schon genauso sehr als amerikanische Staatsbürger wie beispielsweise in Berlin, siehe gewisse Großdemonstrationen gegen die – tatsächlich eigene?! - Regierung? Beispielsweise in Nigeria ist – durchaus mörderische - Polizeigewalt im übrigen ganz alltäglich, interessiert aber keine Sau, ist nicht so „in“ und betrifft uns doch ganz direkt, Stichwort „Asylgrund“ – vollkommen legitimer natürlich! Offiziell geht es um ‘Elemente, Atmung, Politik und Gesellschaft’.


Und das war es auch schon mit einer Ausstellung, die eher klein geraten ist und jene des nigerianischen Photographen Akinbode Akinbyi am selben Haus komplementiert (funktionieren „big house, small house“ Witze eigentlich in Nigeria, oder besser andernorts auf dem #000000 Kontinent? Ups: Vielfalt, aber Misosuppe). Versuchen wir, das alles nun deutend zu verstehen, ... scheitern wir. Kreise mögen in Nkangas Werk eine Rolle spielen, sie „mattern“ da unbedingt. Kreiselnde... Leben... matter? Als privilegiertes Mitglied der Propagandaindustrie – nein, “Presse” heißt das, erfuhr ich noch, Nkangas Kunst beschäftige sich intensiv mit dem “soil”, dem Grund und Boden. Nigerias Böden führen bekanntlich eine langwährende feste Beziehung mit dem Suffix „-schätze“ wie etwa dem schwarzen Gold 2.0” und migratorische Firmen zeigen sich stets erpicht, ihm jene auszuspannen (was den „nigerianischen Prinzen“ dann – angeblich! - dazu bringt, Sie per eMail um Ihre Mithilfe zu ersuchen, die erwirtschafteten Devisen außer Landes zu bringen... ;) )


Sollten Sie sich zu einem Besuch am MGB entscheiden, versäumen Sie nicht den Erwerb des Katalogs. Oder besser noch: Kaufen Sie nur den Katalog, sonderlich viel vermag die Ausstellung darüberhinaus nicht beizusteuern. Kunst, die nur mit Anleitung funktioniert, muß man mögen - Wüßten doch nur die Werke an sich visuell zu überzeugen! Aber schwarze Künste sind natürlich wichtig und – Moment, wie bitte? Sagen wir lieber „Kunst von Schwarzen“, oder welches Wort sie auch immer bevorzugen, Afro-Afrikaner", coloured", of colour" oder gar – «Vive la négritude!» sprach Aimé Césaire, aber der betonte eben Identität vor Gleichheit und Vielfalt vor Assimilation. Namen sind Schall und Rauch, menschliche Sprache kein Programmierbefehl, sondern das genaue Gegenteil: vielfältig und -deutig, interpretationsbedürftig und kontextrelativ, was das binäre Denken überfordern mag. Auf die Logoklasten wollen wir aber lieber nicht näher eingehen, die in grenzenlos beschränkter Verblendung nach der Mohrenstraße bald den Othello verbrennen werden, erdreistete der sich doch, „Mohr” zu sein... am Ende ist es immer der unbedingte Wille des aufgepeitschten Mobs zu einigem Gleichschritt. Wer jede Notion von Andersartigkeit, jede Benennung von Vielfalt abschaffen möchte, der möchte – mindestens unbewußt - genau das: Fremdheit und Vielfalt ausmerzen. Wer Sprache ideologisch reglementiert, ist ein Feind der offenen Gesellschaft; wer Worte bannt, brennt bald auch Bücher. Immer. Darf man eigentlich noch „Nigeria“ sagen? (Und gar küssen – das wären ja „Nigeriaküsse“, Schockschwerenot!?)

Zurück zur Kunst: Otobong Nkanga mag viele schlaue Ideen haben, nur leider versteht sie es – zumindest in dieser Ausstellung – nicht, sie in einer visuell ansprechenden, beeindruckenden oder bloß interpersonell nachvollziehbaren Art und Weise zu präsentieren. Zur Kunst sollte doch mehr als Denken gehören. Ist es nicht verstörend, wenn man sich wegen des ganzen Booheys nicht mehr sicher sein kann, ob sie sich diesen Ausstellungsplatz überhaupt mit ihrer Kunst oder eher aufgrund persönlicher Merkmale verdient hat?


Otobong Nkanga, There is No Such Thing as Solid Ground, 10. Juli-13. Dezember 2020, Martin Gropius Bau

World of Arts Magazine – Contemporary Art Criticism

 

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