top of page
  • Christian Hain

Zwei Große Italiener... Mantegna und Bellini an der Gemäldegalerie


(Berlin.) Mit Mantegna und Bellini zeigt die Berliner Gemäldegalerie – “eine der führenden Gemäldesammlungen Europas” - ein Serie A Spiel der Renaissance-Malerei. Man meint es hier ernst mit dem Anspruch auf einen Platz in der Champions League unter den Altmeister-Museen, der Louvre/Prado/Uffizien-Klasse. Mit einem (über?)gesunden Selbstbewußtsein ausgestattet, zeigt sich gemäß Selbsteinschätzung “eines der besten Museen der Welt” stolz darauf, erstmals Werke aus der königlich-britischen Privatsammlung entliehen haben zu dürfen, welche sonst im Hampton Court Palast ausgestellt sind und nur selten auf Reisen gehen. Nebenbei beklagt man noch ihren schlechten Restaurierungszustand – der aber kein Nachteil sein muß, wie wir im folgenden sehen werden.

Weiß eigentlich irgendjemand, was “unter der Schirmherrschaft von” genau bedeutet? Wieviel macht das aus in Sponsorengeldern, wenn überhaupt etwas? Das Direktorium der Gemäldegalerie erklärt sich überaus dankbar dafür, daß der Bundespräsident (noch einmal für unsere ausländischen Mitleser: kein “echter” Präsident, nur eine Art Staatsmaskottchen) hier die Rolle übernimmt. Lockt das einen einzigen Besucher mehr in die Ausstellung? Gibt es einen einzigen für das Kunstsponsoring eines mittel-bis großständischen Unternehmens verantwortlichen Manager, der seine Entscheidungen von etwaigen Schirmherrschaften abhängig macht? Zweifel scheinen angebracht. Andersherum wird wohl eher ein Schuh daraus: Kunst schirmt den Herrn; Polit-PR und nicht mehr.

Noch eine Frage, wenn man sich zwar nicht als primo, so doch zumindest inter pares mit den größten definiert, war es schwer zu akzeptieren, daß diese Ausstellung am British Museum Premiere feierte, bevor sie nun, Monate später erst, den Weg nach Berlin antrat? Man verstehe mich nicht falsch: Ich habe nichts gegen die Gemäldegalerie, wirklich nicht! Selbst wenn sie, und das sie umgebende Kulturforum, architektonisch immer noch einem Tagungs- und Konferenzzentrum der ländlichen DDR gleichsieht – aber wer derart von sich selbst überzeugt ist, gehört hin und wieder mal „auf den Pott gesetzt”. Die Gemäldegalerie verfügt über eine schöne Sammlung (oder das Kulturforum, die Nationalgalerie, ..., wer durchschaut schon das speziell Berlinische Gewirr aus Landes- und städtischen Akteuren, komplex wie das Firmengeflecht eines luxemburgisch-panamaischen Steuerberatungsunternehmens) und ist gar der bedeutendste Ausstellungsort Berlins, geht es um klassische Malerei. Das ist aller Ehren wert, aber darüberhinaus gilt das alte Wort vom “Schuster, bleib’...”.

Andrea Mantegna und Giuseppe Bellini waren nicht nur Zeitgenossen in einer der faszinierendsten Epochen der (Kunst-)Geschichte, sondern ab 1453 auch verschwägert, da Mantegna eine Schwester Bellinis heiratete. Die wechselseitigen Einflüsse waren mannigfaltig, man inspirierte und kopierte einander, vervollständigte gezeichnete Entwurfszeichnungen des anderen in Öl (oder auch: Entwürfe aus der Werkstatt des anderen, vielfach bleibt offen, wo die Handarbeit des Meisters begann und die seiner Lehrlinge/Bediensteten endete), oder verweigerte eine Auftragsarbeit, um nicht miteinander in Konkurrenz zu treten. Dies ist umso beeindruckender, als Mantegna 1460 nach Mantua zog, während Bellini in Venedig verblieb und es kaum noch zu persönlichen Treffen kam. Mantua und Venedig, das waren nicht bloß verschiedene Städte, sondern verschiedene Staatsgefüge – genaugenommen ist es ein Anachronismus, von “italienischen” Künstlern und „italienischer“ Kunst jener Zeit zu sprechen. Ganz wie Deutschland war auch Italien ein Konstrukt von Mikrostaaten, autonomen Entitäten, die sich mal bekriegten und mal kooperierten. Eine Vielfalt von Gesetzgebungen, Kulturen, sogar Sprachen, koexistent in der Absenz gleichschaltender Einheit; Geist und Kunst, die von der Konkurrenz auf allen Ebenen profitierten und sich in höchste Höhen schwangen, kurzum: Die alte Zeit.

Im Berliner Ausstellungsraum herrscht Halbdunkel, grüngestrichene Wände beruhigen Auge und Gemüt, geschuldet den besonderen Ansprüchen alter Pigmente. Thematisch aufgeteilt, tragen die Kapitel an Lebensweg und gemeinsam behandelten Themen der Künstler orientierte Titel: “Mantegna in Padua”, “Bellini in Venedig”, “Landschaften”, “Heiligenbilder”, “Christus am Ölberg”, “Trauer und Tod”,... Überflüssig zu erwähnen, jedes einzelne Bild ist hier ein Meisterwerk – was wäre von Alten Meistern auch anderes zu erwarten...? Wir beginnen jetzt nicht, Mantegna und Bellini zu richten, die Ausstellung ist großartig und Sie sollten sie bei einem Berlinbesuch dieser Tage unbedingt einbeziehen. Widmen wir uns lieber Ausnahmewerken unter den Ausnahmewerken und stellen einige Generalisierungen an.

Ausstellungen wie diese laden zum Vergleich ein und früher oder später beteiligt sich ein jeder Besucher am Ratespiel: „Wer war’s?“ Versuche, die eigenen Vermutungen zu begründen und allgemeine Regeln zu formulieren, treffen jedoch schnell auf Schwierigkeiten. Nicht allein weil beider Stile sich von grundauf ähnelten (und sie sich damit im Geist der Zeit bewegten), sondern auch weil ihre Werke sich heute in je unterschiedlichem Restaurierungszustand befinden. Sahen sie alle vor fünfhundert Jahren genauso aus wie heute? Zuweilen – als besonders heraus- (oder: herab-) ragendes Beispiel darf manches illustrierte Buch gelten – führt der Betrachter sich unwillkürlich die Szene im Restaurationsbetrieb vor Augen: “Mehr Farbe,... mehr,... mehr,... ein bißchen mehr,...mehr Farben hier,... mehr,... mehr,... mehr - Ups!”

Erste, fehlgeleitete, Versuche einer Kategorisierung können sich daher leicht auf den Farbeinsatz beziehen - erscheint die Bilder des einen “blasser”, die Farben weniger “lebendig” als die des anderen? - bis man sich in Erinnerung ruft, daß jedes der leihgebenden Museen seine eigenen Restauratoren beschäftigt, und überhaupt über je eigene Restaurierungsetats verfügt. Wir müssen dem Stadtmuseum von Bergamo vertrauen, daß jenes Kleidungsstück in einer Auferstehungsszene immer schon einem Fußballtrikot glich. Vielleicht wäre es einfacher, Museen zu kategorisieren (garantiert die National Gallery poppige Neonexzesse?).

Ein alternativer Ansatz zu einer allgemeingültigen Einteilung kann von der Annahme ausgehen, Bellinis Linien seien weicher, während Mantegna mehr Wert auf Kontraste legte. Stets ist in Bellinis Hintergründen Sonnenlicht präsent, ohne je zu realistisch zu werden, es dominiert die Atmosphäre, der Eindruck – man mag es Prä-(Prä-Prä-)Impressionismus nennen. War Mantegna distanzierter, dadurch realistischer, legte Bellini mehr Wert auf ungefilterte Emotion hinter den Erscheinungen? Nutzte Mantegna mehr Effekte, aber grub sich Bellini tiefer in die Szene ein - die Ausdruckskraft seiner Beweinung Christi (ca. 1457-59) bleibt unübertroffen von allen Schöpfungen Mantegnas? Letzterer war der präzisere Wissenschaftler, Beobachter und Kopist, seine Beschreibungen genauer – aber er blieb außerhalb der Dinge, als unbeteiligter Beobachter, und so auch der Betrachter seiner Werke. Bellini verstand es besser, den Gehalt eines Bildes zu vermitteln, Gefühl und Stimmung, Bedeutung und Gehalt, zum Kern vorzudringen. Belege für diese Interpretation mögen sich noch in den Zeichnungen finden, dabei bleibt sie doch oberflächliche Generalisierung, obsolet vielleicht bei genauerer Betrachtung.

Was sagt uns eine Szene, die beide malten, zunächst Mantegna in 1554, Bellini dann in 1574, eine Darbringung im Tempel, hinter der die Forschung ein (partielles) Familienportrait erkennt? Mantegna und seine Frau sind mit Gewißheit identifiziert, aber gehören auch (alle) andere(n) Personen dem Clan der Mantegna-Bellinis an? Beginne der Betrachter, sich Charaktere zu erklären und Familiendramen zu vermuten. Der Patriarch in der Bildmitte wirkt weniger grimmig, dabei wachsam und skeptisch bei Bellini, steht jetzt unter Beobachtung eines neu hinzugetretenen Akteurs. Bellini pauste zwar das "Original" Mantegnas in einem ersten Schritt ab, änderte dann aber viele Details, aus Mantegnas Selbstportrait entsteht bei ihm jener Neuankömmling, während der Malerkollege weiter an den Rand rückt – und, der Mimik nach zu urteilen, nichts gutes im Schilde führt...

Zeichnungen ergänzen die ohnehin beeindruckende Zahl von Werken, darunter viele vorbereitende Skizzen, die Einblicke in den Schaffensakt der Gemälde gewähren.

Dazu noch (wenige) Werke anderer Künstler, und nicht unbedingt schlechterer – die Ausstellung beginnt mit einem Donatello-Relief! Jene Zappos dagegen... Es ist nicht fair. Er scheiterte fast grundsätzlich an den Gesichtern, manche Versuche wirken unfreiwillig komisch, es ist beinahe grausam, ihn hier vorzuführen und sei es nur, die Sonderstellung anderer hervorzuheben. Noch Mantegna und Bellinis kleine Fehler sind besser als alles das die meisten Zeitgenossen schufen (man nehme eine Heilige Familie Mantegnas, 1490-1500, – aber wer hat das arme Jesuskind nur geköpft, das Haupt dann schief wieder aufgesetzt?).

Um das nicht zu unterschlagen: Bei Mantegnas gigantischen, eine ganze Wand nehmenden, drei Paneelen Die Triumphe Caesars handelt es sich um die Werke aus dem Kronschatz. Vielleicht bedürfen sie der Restaurierung, sind aber doch unbedingt noch präsentationsfähig.

Mantegna und Bellini könnte tatsächlich der Publikumserfolg werden, den man sich an der Gemäldegalerie erhofft. Um die Massen zu beeindrucken, hat man sich schon einmal ein neues Spielzeug gegönnt, einen riesigen LED-Bildschirm im nicht minder raumgreifenden Treppenhaus. Wirkt sehr deplaziert.

Zeit für eine Pizza, nicht quattro stagioni, sondern due maestri, della pittura, oder so ähnlich.

World of Arts Magazine – Contemporary Art Criticism


 


bottom of page