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  • Christian Hain

Jack is Back - Jack Whittens Jack’s Jacks am Museum Hamburger Bahnhof


(Berlin.) Der Hamburger Bahnhof ist ein modernes Museum und als solches natürlich den Trends der Zeit verpflichtet. Erfolgte im vergangenen Jahr bereits eine politisch korrekte Selbstkritik von Vergangenheit und Sammlung, ist der erste in 2019 mit einer Einzelausstellung geehrte Künstler – Halt, das ist unfair. Obschon es tatsächlich immer schwerer fällt, Museumspolitik und Hintergrundrauschen zu trennen.

Jack Whitten war ein amerikanischer abstrakter Maler und an solchen mangelte es dem Zwanzigsten Jahrhundert wahrlich nicht. Manche sind zu Recht vergessen, andere weniger, diese jüngste Wiederentdeckung verdanken wir aber sicherlich auch Entwicklungen abseits der Kunst. Aber halten Sie einen Moment inne im Vorzimmer zur Ausstellung, schließen Sie die Augen und atmen tief durch, versuchen sie - soweit das überhaupt möglich ist - die prädisponierenden Ideologien auszublenden, und das kommende nicht einfach aus Prinzip zu mögen, nur weil Whitten ein Afro-Amerikaner/Schwarzer/Neger/Farbiger/wählen Sie welchen Terminus auch immer, sie sind alle austauschbar, tatsächlich: das sind sie, Namen sind Schall und Rauch und gefährlich nur die Zensur und „Reinigung“ von Sprache (wer Worte bannt, brennt bald auch Bücher) – war, noch, dies im Gegenteil nicht zu tun aus sturem Protest gegen das immer hysterischere Einhämmern einer Vereinheitlichungsideologie, die jeden Diskurs über und jeden Blick auf nicht nur Kunst überschattet. Versuchen Sie, sich ohne vorgefertigte Meinung auf die wirklich wesentlichen Dinge zu konzentrieren, zum Beispiel darauf, daß Jack Whittens Bilder durchaus zu beeindrucken wissen.

Jack’s Jacks („Jakobs Jakobs" – und bitte kein Deppenapostroph!) ist Jack Whittens erste Museumsausstellung in Europa überhaupt und der im vergangenen Jahr verstorbene Künstler war noch stark in ihre Vorbereitung involviert. Nehmen Sie sich in jenem Vorzimmer auch Zeit für das Einführungsvideo, eine filmische Autobiographie, die u.a. über den überraschendsten Aspekt in seinem Werk aufklärt: Was häufig wie Mosaiken wirkt, wie Collagen aus Plastik und Glas, sind in jedem Fall bloß Schichten von Farbe. Entweder applizierte Whitten Acrylpigmente auf Objekte – ein einfacher Flaschenhals etwa -, entfernte und übertrug sie dann, alsbald getrocknet, auf Leinwand, oder er nutzte spezielle, auch selbst gebaute, Instrumente. Die resultierenden Bilder weisen einerseits in ferne Vergangenheit – tatsächliche, antike, Mosaiken, und andererseits in Gegenwart und Zukunft – verpixelte Computergraphiken, Zeit seines Lebens zeigte er sich an wissenschaftlicher Erkenntnis und technologischem “Fortschritt” interessiert, von Heimcomputern bis Quantenphysik.

Jack Whittens plastische Gemälde sind Abstraktionen mit einer figurativen Komponente, verschlüsselte Narrationen, und durch ihren Titel dechiffrierbar. Es sind Portraits von Persönlichkeiten aus Politik, Wissenschaft und Künsten, “übersetzt” in Abstraktion, teils Metapher, teils “psychologische Synästhesie“, mit einer Prise Kandinsky (nur in der als intersubjektiv angenommenen Identifikation seelischer Zustände mit Farben). Das Konzept erweist sich als am überzeugendsten wird es auf Whittens Berufsgenossen angewandt, deren einige ihm (eher virtuell als physisch) Modell standen, von Delacroix (über die meistverwendeten, weichen, Farbtöne in Delacroix’ Palette) hin zu Ellsworth Kelly, Robert Rauschenberg, Andy Warhol, Louise Bourgeois, Cy Twombly und Whittens Lehrer Willem de Kooning (Bill’s Way for Bill de Kooning: Ein Schiebepuzzle-gleiches Muster von Farbblöcken) meist nach derselben Idee ausgeführt, dem Aufgreifen typischer Farben, Themen und Stilmittel.

Portraits von Jazz- und anderen Musikern wirken ebensowenig willkürlich, sind zuweilen, wie im Falle von Prince, sogar zu eindeutig: Scheint, als habe Whittendie Leinwand (deren drei, ein Triptychon) über Nacht im Farbregen liegengelassen, im Purple Rain... (aber keine Spur von Medikamenten).

Andere Charakterisierungen erscheinen zweifelhafter, das tut ihrer künstlerischen Qualität aber natürlich keinen Abbruch. - Der Zusammenhang zwischen Stanley Kubrick und einer neongiftgrünen Melone blieb mir beim besten Willen schleierhaft. Wären Uhrwerks-Orange oder „scheinendes“ Blutrot nicht eine bessere Wahl gewesen (da ist weit und breit auch kein schwarzer Monolith)? Das Werk erinnert mehr an frühe Computerspiele, Frogger, Space Invaders, und das beißende Grün ist den Augen schlichtweg “too beaucoup, too beaucoup” (ganz unangebrachtes Zitat). Und dennoch, andere Besucher erklärten, wie passend und logisch ihnen das alles hier erscheine.

Vielleicht träumte Whitten von einem Filmprojekt, das Kubrick mit einem Boxer zusammenbrächte: The Black Monolith (Birth of Muhammad Ali). Und wieder laden die Details zu Diskussionen ein: Der chaotische Hintergrund eines Mosaikgewitters attackiert eine schwarze Form, er mag für den Krieg stehen, für Politik und die Massen am Boxring. Jene zentrale Form aber, einem mathematischen Apfelmännchen nicht unähnlich... das ist eher George Foreman, post-Karriere, Hamburger grillend, als die agile Schmetterlingsbiene. Zu viel Schwergewicht für Ali, ganz direkt: zu fett. Der rote Fleck in ihrem Inneren symbolisiert wohl das Herz des Boxers und die Kraft und Ruhe, die Cassius Clay in seiner Neugeburt fand.

Die Theta Group ist keine obskure Band, und überhaupt nicht menschlich, sondern - Danke, Wikipedia! – ein Begriff aus der Quantenmathematik, sich beziehend auf... irgend etwas. Gewisse Elemente scheinen den Kreisen und Mustern um da Vincis Vitruvianer verwandt, aber das kann auch Zufall sein.

Whittens Verbeugung vor Barack Obama, der ihn mit einem Orden schmückte, läßt den Betrachter nicht weniger verwirrt zurück. Apps für Obama zeigt den Startbildschirm eines iPhones oder -pads mit vielen kunterbunten Icons.

Der derzeitige US Präsident wurde für seinen Gebrauch eines iPhones scharf kritisiert (nicht wegen der Spionage von Silicon Valley und NSA, sondern gleicher Aktivitäten Rußlands und Chinas halber) und selbst wenn sein Vorgänger sehr werbewirksam einmal von einem geborgten iPhone twitterte (zur großen Freude in Cupertino), nutzte er doch im Amt keines. Darum geht es bei diesem Kunstwerk aber auch nicht, sondern... ja worum eigentlich? Farbige Apps zum Spielen und Benutzen? „Die Farb-/Rassenkarte zu spielen” ist kein Kompliment und Obama tat es nur selten gezielt (ganz entgegen jener minderbemittelten Gestalten, die ihn mit einem Nobelpreis auszeichneten für das „Verdienst“, leicht gebräunt geboren zu sein, aber der Unsinn war ihm selber peinlich). Vielleicht sollte man hier nicht zu sehr nach einem Sinn suchen und die Hommage einfach als solche akzeptieren.

Und nun, da wir uns der Kunst gewidmet haben, ist es an der Zeit für einige Worte zur Politik (die, wenn überhaupt, immer zuletzt kommen und nicht im Zentrum des Interesses stehen sollten). Jack Whitten war ein moderner Mann, noch vor der Zeit. Man findet ihn zitiert mit den Worten: “Ich glaube fest daran, daß in der schwarzen Künstlergemeinde, insbesondere jene unter uns betreffend, die abstrakt arbeiten, die Kunst über allgemeine Vorstellungen von Rasse, Geschlecht und Nationalismus hinausgehen muß. Die Dinge müssen sich zu einem Punkt entwickeln, an dem eine neue Sensibilität da draußen möglich wird. Es geht uns um eine globale Ästhetik und jeder, der das nicht sieht, denkt eminent altmodisch.” (Interview mit Art in America, 2013, zitiert im Nachruf der New York Times vom 23. Januar 2018.)

Er war einer von denen, die “Gleichheit” schreien, nicht „Vielfalt“ und die Begriffe sind in der Tat antonym. Aufgewachsen in Alabama, hörte Whitten Martin Luther Kings Rede in Montgomery und organisierte später, während seines Studiums in Louisiana, Demonstrationen - der Künstler war zweifelsohne ein politischer Mensch. Ihm war es ernst mit dem Kampf um Einheit, Whitten wollte vielleicht auch selber “whiten“, weiß werden (in übertragenem Sinne, und bevor noch jemand fragt: nein, da ist kein Portrait von Michael Jackson in der Ausstellung). Die modernen Ideen finden sich exemplarisch in dem MLK gewidmeten King’s Wish (Dream), eine Explosion von Farben, alle ineinanderlaufend (der Einwand sei noch erlaubt, logisch unabwendbar getrieben von Masse, Markt und Infrastruktur zerstöre diese rein äußerliche, oberflächliche, Form von Vielfalt potentiell jeden inneren Unterschied und führe zur ödesten Form globaler Homogenität überhaupt, zu im durch und durch amerikanischen Schmelztiegel, der Identität allenfalls als Konsumgut in Chinarestaurants und Theme Parks übrigläßt, gleichgeschalteten Traditionen, Sitten und Kulturen.) In diesem Zusammenhang ist es keineswegs belanglos, daß Whittens Witwe, die mit den drei Kindern der Berliner Eröffnung beiwohnte, weiß ist, und jene Kinder äußerlich bereits weit von seiner Identität - und jenem bunten Traumbild - entfernt scheinen.

Jack Whitten, Jack’s Jacks, 29. März-01. September 2019, Museum Hamburger Bahnhof

World of Arts Magazine – Contemporary Art Criticism


 


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