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  • Christian Hain

Der Kunstraum, unendliche Weiten… Eine mega- nein: Giger-Ausstellung am Schinkel Pavillon!


(Berlin.) Wie oft lag uns angesichts Berlins in all seiner monströsen Häßlichkeit nicht das berühmte Zitat aus David Camerons Aliens, dem zweiten Teils der Sci-Fi Saga (Subgenre "Creature Feature", liebe Filmfreaks?), auf der Zunge: "I say, we take off…."?! Und wer hätte gedacht, daß Nina Pohl, hiesige Photographiekünstlerin und Betreiberin des Ausstellungsraumes "Schinkel Pavillon" unsere Gefühle teilt… na gut, zumindest ist sie wohl auch ein Fan und präsentiert dieser Tage bereits die zweite Ausstellung mit Werken des Schweizers Hansruedi, auch: Hansrüdi, Giger, alias HR Giger, gebürtig Hans Rudolf Giger, der jenes "unheimliche Wesen aus einer fremden Welt" (deutsche Filmtitelübersetzungen bzw. hinzugedichtete Untertitel können schon selten dämlich sein!) zum "Leben" erweckte, bzw. auf die Leinwand brachte und während seiner gesamten Karriere im selben Stil arbeitete.


Die heutige Ausstellung mag auch mit einem Seitenblick auf die Spin-Offs Alien vs. Predator konzipiert sein ("Predator" bedeutet im engl. sowohl "Raubtier" als auch "Triebtäter"), stellt sie Gigers Schaffen doch in die Tradition des deutschen "Puppenspielers" und mehr oder minder pathologischen Charakters Hans Bellmer (den Gnaden einer frühen Geburt zum Dank können seine Werke auch heute noch - hin und wieder - gezeigt werden, da totalitäre Cancel Culture jeden zeitgenössischen Wiedergänger gnadenlos ausmerzen würde; am Schinkel Pavillon gibt man sich im übrigen Mühe, die Distanz seiner willentlich entarteten Schöpfungen zum nationalsozialistischen Körperideal zu betonen, verschweigt aus guten Gründen aber die problematischeren Aspekte).


Um ehrlich zu sein, verpaßten wir die erste Giger-Ausstellung am Schinkel Ende 2021 weil wir wieder einmal nicht auf die täglich eintreffenden Newsletter in unserer Mailbox achtgaben; als wir nun zur Fortsetzung erschienen, vergaßen wir über Maske und Passierschei- Impfpaß! jedweden Nachweis unserer (natürlich: "pseudo-") journalistischen Tätigkeit mitzubringen. Statt es mit einer - an Berliner Türen grundsätzlich aussichtslosen - Diskussion zu versuchen, entschieden wir uns, den zur Abwechslung einmal fairen Eintrittspreis von 5,- Euro als Spende abzuhaken, Frau Pohl zuliebe. …Mit Abstand betrachtet dürfte der Betrieb dieses Ausstellungsortes allerdings auf wenige Widerstände pekuniärer Art treffen, wird die Leiterin doch von dem internationalen Marktschwergewicht SM - Sprüth Magers, Börlin, London, Hollywood vertreten. Wie dem auch sei, beim ersten Besuch seit geraumer Zeit fällt sofort der Empfangsschalter ins Auge, der - endlich! - dorthin gerückt ist, wo er schon immer hingehört hat, ins Erdgeschoß nämlich, hinter die Eingangstür. Jahrelang befand er sich im Obergeschoß, was nicht nur für Erstbesucher verwirrend war, sondern auch zusätzliches Personal erforderte, den unteren Teil vor kostenbewußten Eindringlingen zu schützen.


Beim Betreten der Ausstellung dann… - na, ist sie nicht niedlich?! Nein, nicht die Praktikantin hinter jenem Empfangstresen, sondern das Wesen, das Alien oder, um im Filmjargon zu bleiben: der Xenomorph! Kauert dort bereit zum Sprung auf den wehrlosen Eindringling, der - laßt alle Hoffnung fahren - schon ein sehr elaboriertes Waffenarsenal sein eigen nennen müßte, um auch nur den Hauch einer Chance zu haben. "Niedlich" ist natürlich nicht die ganze Wahrheit, wer mit den Filmen vertraut ist, dem wird das T-Shirt plötzlich sehr eng am Halse sitzen, derweil er nach potentiellen Fluchtrouten Ausschau hält - dies ist das "Unheimliche in der Kunst" in einem ganz popkulturellen Sinn.

Um unseren offensichtlichen Fehler zu korrigieren: Das ist keine "sie", der*die*das Alien*in (m*w*hungrig), sondern eine männliche Drohne (diese Filme waren schon sehr progressiv!) und im übrigen kleiner als man sich das vorgestellt hätte, mehr Kroko als Saurier (oder Raptor als T-Rex). HR Giger faßte die Essenz einer definitiv nicht veganen, sondern omni - und das schließt anthropo- mit ein -phagen Killermaschine in Form und ihm sei jeder Cent gegönnt, den er mit seinem Geschöpf verdiente (derer waren es viele, Aliens und Cents, bzw. Rappen). "Du bist nicht du, wenn du hungrig bist", das Exemplar am Schinkel hat sich allem Anschein nach sogar an seinem Podest gütlich getan und einige Brocken herausgeknabbert.


Wie viele andere Fans auch vermeide auch ich im allgemeinen jegliche Erwähnung der pseudo-theologischen/bißchen von Däniken-beinflußten Alienkac*e der Prequelfilme Alien: Prometheus und Alien: Covenant, allerdings könnte sich mindestens eine Zeichnung an den umlaufenden Wänden darauf beziehen, bzw. jene vorwegnehmen, ist sie doch deutlich früher datiert.

Die Zeichnungen wirken insgesamt technischer/illustrativer als die Skulptur im Zentrum, die ewige Frage nach Kunst oder -handwerk soll uns heute nur beiläufig beschäftigen, bloß soviel: Die Handvoll in einer Nische versteckter Bellmerzeichnungen wirkt ungleich "künstlerischer", artgerechter untergebracht in einem Ausstellungskontext als jedes Filmwesen, darunter z.B. ein aufgeschlagenes Buch mit Zeichnung auf einen und Anmerkungen des Künstlers zu seinen historischen Einflüssen auf der anderen Seite.


Nächster Raum und wir müssen einmal die Schinkelsche Architektur, bzw. jene des nach dem historisch preußischen Baumeister benannten Pavillons thematisieren: ein klassizierendes Rundgebäude von 1968, das im Sozialismus zu Parteiempfängen diente und wer weiß wozu sonst noch, die weißgekachelten Wände im fensterlosen Untergeschoß beschwören im Schlachthausstil verfallener Nervenheilanstalten jedenfalls Bilder ganz anderer Horrorfilme herauf - irgendwo müssen hier doch getrocknete Blutflecken sein, man sucht sie schier an jeder Wand!


Treten wir abermals einen Schritt zurück bevor wir uns in die niederen Regionen begeben: Die sexuellen Konnotationen des filmaußerirdischen Monsters mit seinem grob phallusförmigen Schädel wurden oft beschrieben, auch ist da sein recht komplexer Reproduktionszyklus unter Verschleiß eines unfreiwilligen Wirtskörpers (tut nicht irgendeine Wespengattung "im echten Leben" ähnliches, oder waren das Spinneneier in gelähmten Wespenkörpern?!) mit Bezug auf Urängste von (sehr) blutiger Geburt - das wurde nicht zuletzt von Jean-Pierre Junot im vierten Teil Alien: Wiedergeburt mit einem tatsächlich schon fast "niedlichen", dabei mental instabilen und sehr gefräßigen Alien-Mensch Hybriden (Chimäre?), wilden Genexperimenten entstammend, breitgetreten… wenn man so darüber schreibt, klingt das alles schon arg nach B-Movie Müll.

Jenem Themenkomplex zum Trotz hat der Verfasser dieser Zeilen niemals einen Gedanken an gemischtrassige Alien-Mensch Paare verschwendet - Hansrüdi aber schon und vielleicht mehr als gut für ihn war: Die folgenden Werke lehnen sich nicht alleine an den Surrealismus an (wie des Künstlers Gesamtwerk überhaupt), sondern auch an eine ganz andere Gattung, sagen wir einmal "teils Hantaï und teils Hentai". Das gehört nun alles nicht mehr in den Filmkosmos, jedoch schuf Giger eine darüberhinausgehende Phantasiewelt, in der sich Xenomorphen und andere Fabelwesen mit Menschinnen vergnügen, auf almodische Weise. Man mag es schlicht "Comicporno" nennen, in Grautönen und "irgendwie bizarr".


Im Anschluß widerfuhr uns eine jener beiläufigen Begebenheiten, die so unwahrscheinlich wie wahr sind: Gleich um die Ecke zeigt ein altmodischer Fernseher Ridley Scotts ersten, 117minütigen, Alienfilm in Endlosschleife. Genau als wir um diese Ecke bogen, war er einmal wieder an jener Szene angelangt, da die Kamera in sehr anatomieenthüllenden Zooms auf Lt. Ripleys (Sigourney Weaver) knappes Höschen schwenkt derweil sie in den Raumanzug gleitet, der wenige Meter entfernt erwachenden Kreatur zu entkommen.

Die Wände schmücken Storyboards und Skizzen zu Alien 3, ein Xenomorph wirkt da geradezu friedlich ruhend, fast hundegleich - "ja feiiiiin", kramt mancher reflexhaft nach einem Leckerli und wäre es doch selbst…. Moment, gab es nicht einen Hund in Alien 3, und es ging nicht gut für ihn aus?! bevor im Separée weitere FSK18-Zeichnungen Gigi Amorosos folgen, mit draufgefügten Zitaten de Sades.


Schinkels Treppenhaus zieren historische (oder ebenfalls aus den 1960ern stammende) Reliefs, deren eines Leda und den Schwan (der hier fast dem Reichsadler gleicht?!) zeigendes besonders gut zur Tagesstimmung paßt. Im vollverspiegelten Raum dahinter empfängt uns eine knöchrige Tafelrunde und ja: das sind (Plastik-)Wirbelsäulen an Tisch und Stühlen, aber nein: "Frida" ist wäre schon eine sehr weithergeholte Assoziation (nur Maskulisten alten Stils mögen sich zu müßigen Reflektionen hingerissen fühlen: "Lieber den finalen Biß der Alien-Queen erdulden oder einen Kuß von Fridas Schnurrbart?!"). Wer sich im übrigen wundert, warum wir die ganze Zeit nur von Giger sprechen und den Hans ohne -rüdi mit kaum einer Silbe erwähnen, dem sei mitgeteilt, daß dessen Werke hier sehr selten sind, der Ausstellungstitel Giger & Bellmer erscheint fast irreführend, geht es doch vielmehr um "Giger in der Tradition Bellmers", also um Ähnlichkeiten in Stil und Thematik von Sex&Gewalt.

Ein paar mehr Werke Hansens sind hier oben noch zu finden und offen gesagt fällt der Vergleich nicht schmeichelhaft für Giger aus, der in Fragen zeichnerischer Kompetenz kaum je mithalten kann. Bellmers filetierte Kleinmädchenpuppen mögen für weniger Schockeffekte bürgen, sind aber auf eine psychologische Art weitaus verstörender ("warte, warte nur ein Weilchen, dann kommt der Hansi mit dem Hackebeilchen"?!). Je farbiger und großformatiger Giger wird, desto plakativer sind leider auch seine Bilder… das versinkt zuweilen fast in DeviantArt Fan Fic Sphären. Am besten sollte man ihn wohl als begnadeten Set Designer und guten Skulpteur/Installationskünstler in Erinnerung halten.


Das war es auch schon für heute, da wir auf dem Heimweg wieder die Berliner U-Bahn bestiegen statt der USCSS Nostromo (nebenbei: Joseph Conrads dem Raumschiff als Namenspatron fungierender Roman ist stinklangweilig). Dieser Text soll unser einziger filmbezogener Beitrag des Frühjahrs bleiben, da wir uns bewußt eine Pause von der Berlinale verordnet haben.


P.S.: Das YouTube-Video hinter dem Link zu Beginn dieses Artikels ist noch in .mpeg, .mov, oder ähnlichem Dateiformat hochgeladen worden (da müßte man den uns unbekannten YouTuber fragen), aber ist es nicht amüsant, wieviele Zeitgenossen deren Lebensumstände dafür bürgen, daß eine jede Galerie sie gerne in ihrem Mailverteiler hätte (und nur solche von dem Range Sprüth Magers' das tun), bereit wären, Millionen für selbiges zu zahlen, wäre es stattdessen ein NFT - ganz einfach weil man sich in ihrer Peer Group dazu entschlossen hat, fest an diesen Wert zu glauben?


HR Giger & Hans Bellmer, 22. Januar - 20. März 2022, Schinkel Pavillon

World of Arts Magazine - Contemporary Art Criticism

 


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