(Berlin.) Es läßt sich guten Gewissens sagen, daß die Berlin Art Week eine von nur zwei jährlichen Veranstaltungen ist, die die Berliner Kunstszene am Leben und gar international relevant halten. Im mittlerweile achten Jahr ihres Bestehens ist sie offensichtlich noch im Wachstum begriffen, dieses mal währt die BAW schon volle zwei Wochen - inoffiziell zumindest, rechnet man all die Trittbrettfahrer hinzu, Veranstaltungen und Ausstellungen die zwar nicht im offiziellen Programm auftauchen aber eben auch nicht zufällig dieser Tage stattfinden, was natürlich die Frage aufwirft, ob unser geliebtes Akronym überhaupt noch zeitgemäß ist und wir es nicht lieber in BAWS ändern, - bei der Gelegenheit auch gleich noch um eines jener modischen Sternchen ergänzen, sollten: BAW*S (m/w/d)?!
Für die Öffentlichkeit begann der Zirkus spätestens (oder frühestens) mit dem Eröffnungswochenende des Hauses Bastian am Sonnabend, den 31. August/Sonntag, den 1. September, für Presse und bescheidene Blogger sogar noch einen Tag früher. Zeitgleich feierte man am Kindl-Zentrum die erste zweier Eröffnungen im September – dazu später mehr - und ertönte der Startschuß zur KGB Kunstwoche, was zur Abwechslung einmal eine ganz offizielle Abkürzung ist, hinter der sich die Berliner Kommunalen Galerien verbergen. (Das wenige was ich hiervon sah, war allerdings nicht der Rede wert.) Außerdem gab es dann noch die - für Berliner Verhältnisse recht kurze - Lange Nacht der Museen, ebenfalls am 31.8., dem einzigen Tag des Jahres, an dem eine Handvoll Ausstellungshäuser endlich einmal zu humanen Zeiten öffnen, bis zwei Uhr abends nämlich. Konzentrieren wir uns hier aber auf das Haus Bastian:
Der David Cop-, nein: Chippenda- nein: Chipperfield!, bitte um Verzeihung, der Fehler unterläuft mir ständig - gestaltete Betonkubus beheimatete ursprünglich die eponyme Galerie, für eine Weile in WG mit der Galerie cfa, bis sich der Kunsthändlerclan entschied, ihn der Stadt (dem Land, einer Kunstinstitution dieser oder jenes – wer weiß das schon genau, und wen kümmert es?) zu stiften, nicht ohne gewisse... na, nennen wir es einmal Verwicklungen, Komplikationen und Mißverständnisse, die den unvoreingenommenen Beobachter wechselweise vermuten ließen, man sei sich aufseiten der Familie nicht so ganz im klaren gewesen über die Definition der Begriffe “Stiftung” und “Schenkung” oder, im Gegenteil, alle Schuld in den bürokratischen Strukturen auf der anderen Seite des Verhandlungstisches zu verorten. Die Einzelheiten werden wir wohl nie erfahren, aber schließlich fand man zu einer gütlichen Einigung. Die Galerie Bastian ist nun natürlich nicht obdachlos geworden, sondern zog weiter in ein das gelobte Land der Kunsthändler, dorthin wo Milch und Honig - oder Wodka und Hummus - fließen, wo jeder Passant auf allen Wegen ein Scheich, Oligarch oder Fußballprofi ist und stets bestrebt, ein, zwei oder auch zehn jener lästigen Millionen loszuwerden, die ein Loch in die Brieftasche seines Bodyguards zu brennen drohen, und am besten noch vor der nächsten heimtückischen Attacke impertinenter Steuerfahnder, kurzum: nach London.
Des Clans Patriarch, Herr Heiner Bastian – nebenbei bemerkt muß das ungemein praktisch gewesen sein für den deutschen Kunstsammler, der grundsätzlich zu viel um die Ohren hat: Wollte man in den Neunziger Jahren ein bißchen Geld raushauen, man muß sich ja auch mal etwas gönnen, hat es sich verdient und überhaupt, galt es sich nur einen einzigen Vornamen zu merken: bei Heiner Bastian in Berlin gab’s Kunst, und bei Heiner Tamsen in Bremen die Autos dazu. Beide waren zweifellos hochbegabte Verkaufsgenies mit in weiten Teilen deckungsgleichem Kundenstamm – wobei der Eintrag “Heiner; B.” in Notizbüchern und Nokias immer auch die Gefahr von Misverständnissen und ungeplanten Fehlkäufen mit sich führte... – Heiner Bastian jedenfalls kann auf einen dieser Tage eher ungewöhnlichen Lebenslauf zurückblicken: Später auch als Übersetzer und Lyriker in Erscheinung getreten, begann er seine Laufbahn als PA – denken sie nicht auch, der „Privatsekretär“ früherer Jahrhunderte klang ungleich eindrucksvoller, ja bedeutender? - Joseph Beuys’, der ihm anläßlich seines Ablebens genügend Werke hinterließ, daß Bastian sich nie wieder in der lästigen Verpflichtung fände, einem geregelten Beruf nachgehen zu müssen, und ein prall gefülltes Adreßbuch obendrein – beides unerläßliche Vorraussetzungen für jeden, der eine Laufbahn als Kunsthändler anstrebt. Wir wissen nicht, ob Herr Bastian immer schon ein kultivierter und klassisch gebildeter Mensch war, in jedem Fall aber straf- ehrte! er seinen Sohn mit dem der griechischen Mythologie entlehnten Vornamen Aeneas, damit wenigstens fürderhin ein jeder gleich wisse, wie kultiviert und klassisch gebildet man nun sei. Ebenjener Aeneas Bastian ist es, der heute die Galerie in Mayfair leitet.
Das Bastiansche Stadtpalais, im folgenden kurz: HB („aber aber, wer wird denn gleich in die Luft gehen?”) befindet sich an einer der belebtesten und in gewissem, ur-demokratischen, Sinne auch populärsten Straßenzüge Berlins, Am Kupfergraben, wo auch ein aus der Uckermarck stammendes älteres Ehepaar seinen Privatwohnsitz unterhält (ja, natürlich die Merkels/Sauers, oder kennen Sie noch andere aus der Uckermarck stammende Mitbürger?). Spricht die “Berliner Schnauze” hier schon vom “Ku’graben”? Falls nicht, möchte ich das einmal ganz offiziell anregen.
Eintretend wird ein mancher sich wundern, fanden hier tatsächlich einmal Kunstausstellungen statt, so ungeeignet der verschachtelte Bau zu dem Zwecke auch scheint? Aber es ist wahr und es hätte noch weitaus schlimmer kommen können, denkt man an andere von weltberühmten Architekten gestaltete Ausstellungsbauten (Jean Nouvels Monument der Platzverschwendung am Pariser Quai Branly etwa). Herr Chipperfield ließ zumindest noch ein wenig Raum für andere Kunst als die eigene. HB ist kein handelsüblicher White Cube, oder höchstens ein verschobener Rubik’s -, ein vielfenstriges Labyrinth und so prächtig hohe Fensterfronten auch an- und aus ihnen herauszuschauen ist, eignen sie sich zu Zwecken der Kunstvorführung doch nur bedingt, da hält kein Rahmen am Glas, gibt es Reflektionen allerorten und selbst Filmprojektionen prallen unpraktisch ab, so daß man sich letztenendes doch wieder zur Bedeckung durch Vorhänge gezwungen findet.
Die vielen Stockwerke des gewisse andere nicht nur Berliner Bauten zitierenden Hauses (mehr zum Bauhaus Jubijahr demnächst) erkundend, den Blick schweifenlassend aus jenen Fenstern und über die promenierenden Massen auf Museumsinsel und Straßen drunten, wird sich der Gast schnell bewußt: Wer hier steht, fühlt sich auch im wahren Leben oben zuhause und - Moment, warum sind eigentlich auf jeder Etage Waschbecken fast mitten im Raum, ganz nahe der Fensterfront, sollten sich hier einmal die Sanitäranlagen befunden haben, auf daß der Kunstsammler jenes ihm so wohlvertraute Gefühl, auf den Plebs zu p.... endlich einmal auch im Wortsinne genießen durfte? - aber eigentlich wollte ich jetzt von der harmonischen Strenge des grauen Klotzes schwärmen, der tatsächlich ein sorgfältigst modelliertes Monument der plastischen Künste im weiteren Sinne darstellt, mehr noch als das Gesicht der Galeristengattin (nicht böse gemeint, Prof. Mang will ja auch leben)! Vielleicht wurden jene Waschbecken auch erst kürzlich, im Rahmen der Umbauarbeiten vor Schlüsselübergabe, installiert. Kommen wir lieber zu der wohl wichtigsten Information des Tages: Professionelle Ausstellungen werden an diesem Ort in Zukunft überhaupt keine mehr gezeigt, geschweige denn verkauft (es sei denn, es käme doch noch einmal zu einer grundsätzlichen Überprüfung des Nutzungskonzepts, was nicht grundsätzlich auszuschließen ist)!
Stattdessen entschieden sich die neuen Eigentümer, ein - eventuell ein kleines bißchen überdimensioniertes - “Zentrum für kulturelle Bildung” einzurichten, den Deutschen und natürlich auch allfälligen Besuchern von außerhalb endlich beizubringen, was Kunst und gar noch jenes ominöse und eigentlich ja höchst verdächtige Konstrukt “Kultur” bedeuten. Besonders stolz erklärt man sich auf die Tatsache, daß keine (andere) Kunstmetropole dieser Welt in Größe und zugewiesener Bedeutung Vergleichbares vorweisen könne, weder New York noch Paris, nein, nicht einmal London und Peking! Die Tatsache hätte andererseits natürlich auch zum Nachdenken anregen können, darüber, warum das so, und ob die Idee wirklich so großartig ist, wie sie auf den ersten Blick schien. Aber vielleicht sind die Deutschen besonders ungebildet, bedürfen und fordern! besonders der Schulung... andererseits, blickt man dann über den großen Teich... gut, so ganz eindeutig ist das alles nicht.
Kleines Detail am Rande: Kürzlich erst hat unmittelbar gegenüber die James Simon Galerie eröffnet, benannt nach einem anderen merkantilen Meister mit Kunstbezug und als - eventuell ein kleines bißchen überdimensionierte – Empfangshalle/Garderobe der Museumsinsel konzipiert. Von Haus Bastian aus läßt sich das in ihren Dachstuhl eingeschriebene Motto entziffern: “Artem non odit nisi ignarus“, zu deutsch: „Nur der Ignorant (/Unwissende) verachtet die Kunst” (Ich muß gestehen, in meinen stümperhaften Übersetzungsversuchen verwechselte ich „odit“ mit „olet“, wie in „pecuniam“). Das paßt natürlich, andererseits darf man doch gewisse Zweifel hegen, ob all dies wirklich notwendig und die in Berlin nicht in unbegrenzter Menge zur Verfügung stehenden Mittel bestmögliche Verwendung fanden – auch Schenkungen ziehen bedeutende Folge- und Unterhaltskosten nach sich. Aber ”Bildung” läßt sich an den entscheidenden Stellen gewiß besser verkaufen als Kunst und Kultur selbst. „Bildung“ ist immer gut, Wähler lieben Bildung, insbesondere wenn es um die anderer Leute geht. Und auch Politiker lieben Bildung, nicht zuletzt weil sie sich (leicht holprig) auf Werbung (im Fremdwort: Propaganda) und Beeinflußung reimt, während beide Gruppen in Stirnrunzeln verfallen, kommt die Rede auf Kunst und zumal die “Spinnereien“ ihrer „modernen(sic!)“ Spielart. Das gilt hierzulande selbst für jene, die sich rein monetär auch eine andere Einstellung leisten könnten (und vielleicht besonders in den protestantisch geprägten Bundesländern, womit wir wieder bei einem potentiell spezifisch Berlinerischen Bedürfnis an Zentren für kulturelle Bildung wären).
Wie sind nun aber um die Chancen dieses – eines jeden - top-to-bottom Ansatzes einzuschätzen, den geistigen Mißständen der Republik abzuhelfen? Seien wir ehrlich: Die während der Presseführung dekorativ im Raum drapierte und mit Töpferarbeiten bespielte Schulklasse wird sich am meisten über den Ausfall der regulären Stunden an diesem Tag gefreut haben (obwohl,... das war ein FREITAG! Was ist mit ‚Greta befiehl, wir folgen’?). Für sie und ihre Nachfolger wird auch der An- und Abfahrtsweg quer durch die Stadt, hierher beordert von mehr oder minder motivierten Lehrern die so auch endlich einmal wieder an die frische Luft kommen - zählen, dazwischen ist dann die Zeit so gut es eben geht rumzubringen, immer mit halbem Ohr des erlösenden Gongs harrend. Überhaupt lehnt man ja alles was man in der Schule lernt – lernen muß – zuerst einmal als lästige Pflichtübung ab, den Typus des gemeinen Strebers ausgenommen. Wahre Bildung - die im übrigen niemals mit Ausbildung verwechselt werden sollte, auch wenn das heute leider flächendeckend geschieht – eignet sich nicht an der Schule an, sondern im Leben, Kultur besteht und überlebt in der Internalisierung kultureller Werte wie sie in nun langsam sich zersetzenden Strukturen geschah; Kultur liest man sich nicht an, man lebt sie. In letzter Konsequenz lauern hier noch ganz andere, tieferreichende, Problemstellungen und durch und durch moderne Gründe für den globalen Niedergang der Kutur/en.
Es bleibt darüberhinaus diffus, welcherlei Aktivitäten das künftige Zentrum für Kulturelle Bildung genau anbieten wird. Welche handfesten Ergebnisse und Aktivitäten werden all die schönen Marketingsprüche einmal zeitigen? Außer Töpferkursen für Gymnasiasten. - Oder hat es sich damit schon? Ganz offensichtlich wird hier großes Augenmerk auf angewandte Kunst und –handwerk gelegt, auf Erlebnispädagogik. Mag es am Standort Kupfergraben liegen oder auch nicht, in jedem Fall ließen sich bei besagter Führung noch Überbleibsel eines Demokratiespielchens begutachten, in übergroßen Reagenzgläsern steckten da je unterschiedlich viele Marshmallows (also spielt man jetzt doch mit Essen?) bei nicht mit Parteiprogrammen, doch immerhin Schlagworten beschriebenen Zetteln. Votiert wurde nicht für unterschiedlich mißgestaltete Homuniculi, sondern “kennenlernen”, “kreativ werden”, “3. Ort” (??? Welt 3?), “Besetzen” oder die leidigen sonstigen, hier “Weitere Ideen” geheißen. Roch nach Brainstorming und eher uninspiriertem Lehrer. So manch einer wartete wohl auch auf das eine fette Kind, sie alle zu vertilgen, oder träumte von einem zünftigen Flächenbrand, die Ideen zu rösten, respektive die ‘mallows, an Stöcken.
Die – unmöglich zu sagen, wieviele es denn nun eigentlich sind – Etagen des Hauses Bastian ähneln sich wie ein Marshmallow dem anderen, was spontane Erinnerungen auslösen kann, ach ja damals, die Klassenarbeit hatte vor einer halben Stunde begonnen und in welchem Raum war das gleich noch...?! Ansonsten gibt es hier alles, das sich auch an einer x-beliebigen weiterführenden Schule Berlins finden läßt, vielleicht von harten Drogen und migrationshintergründigen Gangs einmal abgesehen. Weißgestrichene Räume, Konferenztische, Ateliers für Töpferei, Malerei, gar ein Medienzimmer mit drei iMacs, wohl in Public-Private-Partnership gesponsort. (Einer meiner Bekannten verdient ein Schweinegeld als Lobbyist für Microsoft, ich frage mich, ob er hier mißbilligend auf die Berliner Kollegen blicken würde, verschlüge es ihn einmal wieder nach Deutschland; immerhin unterhält man einen Coworking-Space/Café/Erwachsenenspielplatz fast um die Ecke, Unter den Linden.) Anderswo wirft ein Bataillon Neunzehnhundertachtziger Jahre Overhead-Projektoren eine Collage mit Nofretete und anderen Berliner Touri-Hot Spots an die Wand, und dann gibt es noch eine – bislang spärlich sortierte – Bibliothek, die bald schon eine Sammlung didaktischer Werke fassen soll. Für den Anfang finden wir zum Beispiel “Bildung in Moscheegemeinden”. Inwiefern genau das Kunst-bezogen sei, fragen Sie? Nun, ich habe das da nicht hingestellt, aber es ist mit Sicherheit groß in Mode – und läßt sich wiederum großartig jenen kompetenten Ansprechpartnern in der Politik verkaufen. Um fair zu sein: Man ist in diesem Punkt sehr offen, hat kein Problem damit, zuzugeben, gar zu betonen, es ginge nicht bloß um Kunst und Kultur, sondern gleich noch um “politische Bildung” dazu. Die grundsätzliche Frage, inwieweit jeder Eingriff des Staates in den Bildungssektor statthaft ist, muß da zurückstehen. Persönlich kann ich ein gewisses Unbehagen nie verneinen, höre ich von “politischer Bildung”, strengenommen ist jede Verbindung von Bildung, die doch eigentlich ideologiefrei sein sollte und Politik, welche genau das zu ihrem Inhalt hat: den Wettstreit verschiedener Ideologien, ja doch ein Oxymoron.
Für die beteiligten Mussen und Kulturinstitutionen geht es natürlich in erster Linie um Relevanz und deren Verteidigung, um das Erschließen neuer Märkte und Käufer-, respektive Besucherschichten, man träumt schon laut von Besuchern auch aus „sozialen Brennpunkten“.
Zurück im Raum mit der Schulklasse stellte sich noch eine andere Assoziation ein: Sind Sie Kunstsammler, haben Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens einen Sprößling, der sich stets bemüht, beim Mensch-Ärgere-Dich-Nicht Spielen in der Waldorfschule nicht den Anschluß zu verlieren (die Geschwister sind natürlich in Salem). Könnte die Idee hinter all dem hier vergleichbar sein, und „für alle“, also auch Erwachsene? Eine Art Zwitterwesen (m+w+d) aus Waldorfschule und VHS?
Es wird spannend sein, zu beobachten wer hier tatsächlich – und aus freien Stücken! –eintreten wird, nicht genötigt von Lehrern, Betreuern, Integrations- oder Rehabilitationshelfern.
Haus Bastian, jetzt geöffnet und bis auf weiteres
World of Arts Magazine – Contemporary Art Criticism
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