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  • Christian Hain

Ach, es ist eine Mühe mit der Kunst... Andreas Mühe mit Mischpoche am Museum Hamburger Bahnhof


(Berlin.) Photokünstler Andreas Mühe ist der Sohn des vor einigen Jahren verstorbenen Filmschauspielers Ulrich Mühe, und auch wenn er auf Nachfrage des Kollegen eines berühmt-berüchtigten Boulevardblattes erklärt, seine Kunst wäre ohne diese Verbindung keinen Deut weniger relevant, so legt nicht zuletzt das Medieninteresse an seiner Ausstellung am Hamburger Bahnhof nahe, daß sie ihm zumindest nicht zum Nachteil gereicht.

Es klingt ja auch wie der wahrgewordene Traum jedes Galerieassistenten/sales executive in art distribution: “ja haha, der Künstler, ganz nebenbei: das ist der Sohn von Ulrich Mühe, kennen Sie ja,...” Perfekter Einstieg in die Verhandlungen, besser noch als „hängt bei mir selbst an der Wand“ und wer weiß, vielleicht gibt die König Galerie sogar eine alte Autogrammkarte obendrauf. Aber wo waren wir stehengeblieben... die Frage jenes Kollegen vom ungeliebten Boulevard bei der Eröffnungs-PK (und damit sei genug gestohlen bei der BILD): “Würden auch Besucher in Ihre Ausstellung kommen, hießen Sie Max Mustermann und Ihr Vater wäre Bäcker?” war noch in anderer Hinsicht nicht unberechtigt: Diese ganze Ausstellung dreht sich schließlich um die Familie des Künstlers, die Mühesche Mischpoke. Zugleich aber – und das muß auch erwähnt werden – ragt das Konzept über die Sphäre des rein Persönlichen hinaus: Was auf den ersten Blick theatralisch inszenierte Gruppenportraits sind, heimelige Familienszenen um Klavier oder Christbaum, zeigt eine in Teilen „gefälschte”/„manipulierte" Wirklichkeit. „Gefälscht”, weil diese Szenen die Lebenden und die Toten mischen, wobei täuschend lebensecht gestaltete Puppen den Platz letzterer einnehmen.

Mühe selbst zieht die Verbindung zu Ahnengalerien adeliger Geschlechter (die wohl verläßlichste Einnahmequelle Künstler früherer Zeiten). Ironischerweise wird seine Ausstellung von Volkswagen (mit-)finanziert und eine mit „von“ im Namen versehene Firmenvertreterin erklärt, wie wichtig eine demokratische Kunst für die Sponsoringaktivitäten sei, „das Volk”, um endlich zu behaupten: “Andreas Mühe betrifft uns alle!” - Nun, “ja und nein”, ganz wie die Antwort auf jene Frage: “Sind Diesel gut oder schlecht?”

Andreas Mühe möchte sein Publikum nicht (zu sehr) verwirren, ganz zu Beginn der Ausstellung findet sich der Besucher mit Gipsbüsten und Bildern halbfertiger Skulpturen/Puppen konfrontiert, die das Konzept bloßlegen und Einblick in den Schaffensakt gewähren. (Fast erinnert das an Szenen aus dem “Massengrab”, den Katakomben, des Georg Kolbe Museums, falls sich noch jemand daran erinnert.) Der Raterei bleibt dennoch genügend Raum: Wer ist wer, oder vielmehr: was? Welches das Bild einer – zur Zeit der Aufnahme - lebendigen Person, und was/welcher Bildausschnitt - zeigt eine in Kopie geschaffene Skulptur? Die Identität bleibt verborgen, nur ihre Präsenz ist enthüllt, wir sehen tote Menschen gleich lebenden (gut, das ist nicht außergewöhnlich in der Photographie), wir erfahren nicht, wer wer, oder was, ist, wer persönlich im Atelier erschien, dort auf ein Photo gebannt wurde, und wer – nun, gehen wir davon aus, Mühe hielt keine Séancen ab, sondern orientierte sich bei der “Wiedererweckung” an früheren Photographien, wer also so auftritt, wie er zu einem bestimmten Zeitpunkt seines Lebens auf ein Photo gebannt wurde, im Alter des Künstlers, um die vierzig. Denn das ist der einzige Hinweis, den wir erhalten: das Alter der „lebenden“ Toten (kleiner Spaß am Rande: man eröffnete kurz nach Ostern – bewußt?), dieser künstlichen Nicht-Intelligenzen. Kinder und Hund sind damit ausgeschlossen (obgleich in einigen Szenen offensichtlich auch Plüschhunde anwesend sind). Multiplikationen allüberall, und Bilder von Bildern, jetzt fange aber niemand von "Ideen" an.

Frisuren und Kleider sind neutral gehalten, zeitlos, lassen keine Rückschlüsse zu: wahrgewordener Alptraum eines jeden Modeschöpfers und –photographen. Isoldes Gesicht wirkt seltsam vertraut, doch muß ich gestehen, kaum einen deutschen Schauspieler zu kennen, und weniger noch mit Namen – mühen sich noch Familienvertreter auf den Brettern, usw. ab? In einer überraschenden Wendung fällt das Ratespiel leichter bei der Betrachtung von selber in der Ausstellung geschossenen Photos, plötzlich scheint es einfacher als “in Wirklichkeit", “Fälschungen” zu identifizieren .

Scheinbar paradox rekonstruiert Andreas Mühe seinen Stammbaum in umgekehrter Reihenfolge, “erweckt die Toten” ganz skulptural, aber ist der Auslöser ein- oder auch mehrmals gedrückt, kümmern den Puppenspieler die Bewohner seines Welttheaters nicht mehr und er läßt sie zerstören. Offensichtlich definiert sich Andreas Mühe in erster Linie als Photograph, nicht als Bildhauer, erinnert dabei auch an einen Schauspieler, der seinen Charakter, eine Rolle, “auszieht”, sie verläßt, sich nie mehr umzuwenden.

Das Vermögen der Photographie, (einen Moment der) Zeit einzufrieren, an- und festzuhalten, ist Allgemeinplatz, und auch Collagen sind uns vertraut. Man mag Mühes Ansatz für redundant halten, für trivial und unnötig, „warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht“ – oder sich an der Innovation im Unsichtbaren, im Konzept begeistern. Vordergründig könnten diese Arbeiten durch „konventionelle“ Collagen, Photomontagen, ausgetauscht werden und der Betrachter merkte es nicht, man könnte sie digital produzieren, es wäre einfacher und kostengünstiger. Der Beitrag von Mühes Pseudo-Collagetechnik - konzeptueller Collage mit und in der Zeit - besteht nicht bloß im Hinzugedachten, die Skulpturen sind "wirklich" da, im Bild, und bleibt dennoch unfaßbar. Man darf sich desweiteren in Spekulationen ergehen: Wo liegt der Unterschied zu einem Photoalbum, kann die ganze Ausstellung als ein solches gelten, oder mehrere zusammengebunden, historische und aktuelle, genauer noch: in Absenz sichtbaren Verfalls von Papier und Farben ein digitales Album, eine iPhoto Bibliothek (auch Pixel altern, wird der Techniker einwenden), etc.?

Teile des Konzepts offenbart schon der Titel: Mischpoche, einer jener jiddischen Ausdrücke die seit Jahrhunderten zum allgemeinen deutschen Sprachgebrauch zählen (jedoch immer weniger im Zuge der allgemeinen geistig/sprachlichen Verarmung), in abwertender Weise gebraucht für eine Familiengruppe: „Ach du Sch..., Tante Gerda kommt auch – mit der ganzen Mischpoke!“ Zwei Punkte sind hier hervorzuheben: Andreas Mühe negiert die pejorative Komponente, behauptet, für ihn bezeichne der Begriff ganz neutral jemandes Angehörige: „Mischpoche ist ein liebenswerter Begriff, und ganz unsentimental" (wie bitte? liebenswürdig aber unsentimental? Klingt nach Selbstwiderspruch). Etwaige Jiddisch-Sprecher unter den Lesern mögen bitte vortreten und uns über De- und Konnotationen aufklären - der Ursprungsbegriff mag sich durchaus unterscheiden, sollte in aller Verdeutschung aber noch erkennbar sein -, und andererseits werden Sie eventuell bereits über die hier verwendeten zwei Schreibweisen gestolpert sein, deren normalgebräuchliche „Mischpoke“ ist, mit „k“ statt „ch“. Mühe schreibt und spricht grundsätzlich „Mischpoche“ und das sieht stark nach einer bewußten Verzerrung aus, die den Begriff als Neologismus erscheinen läßt, als Kompositum aus „Mischen/ung“ und „Epoche“. Denn das gelingt dem Andreas hier mühelos: Das Mischen von Zeiten, Ären, Epochen.

Eine historische Dimension der anonymisierten Portraits bleibt nur angedeutet, auf einer Wand voll kleiner und winziger Photographien erscheint manch eine Person in Uniform. Eventuell zählt Andreas Mühes Mischpoche in einen neuen Trend unter (ost!-)deutschen Künstlern verschiedener Genres: Im Beiprogramm der Berlinale 2019 lief Thomas Heises Heimat ist ein Raum aus Zeit, ein Film, der sich ebenfalls unter Zuhilfenahme von Photographien der eigenen Familiengeschichte widmete.

Wie bereits erwähnt, zeigt Mühe auch halbfertige, und -zerstörte, gebrochene Figuren, während so manches Einzelporträt einer Totenmaske gleicht – seine Heimat ist ein Raum aus/des Verfall/s, zwischen Vergänglichkeit der Bühne und „Ewigkeit“ des Films.

Manchmal lassen sich schier unfaßbar viele schlaue Dinge über einen Photographen schreiben (man denke bloß an die geballte konzeptuelle Kreativität, der Jeff Wall, mehr oder minder aktiv, Bahn brach), und manchmal... weniger. In Bezug auf Andres Mühe: Dräuen da noch Androiden am geistigen Horizont, Klone und ewiges Leben? Belassen wir es dabei.

Andreas Mühe, Mischpoche, 26 April-11 August 2019, Museum Hamburger Bahnhof

World of Arts Magazine – Contemporary Art Criticism


 


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