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  • Christian Hain

Pablo Picasso besucht Plattner in Potsdam. – Das späte Werk am Museum Barberini


(Potsdam.) Zurück in Potsdam, dem „Versailles von Berlin“, und die Mischung aus historisierenden Neubauten und wiederaufgebauten Palästen fühlt sich noch immer falsch an, zu künstlich, sauber und steril. Ein Spaziergang durch Potsdam hinterlässt leicht den Eindruck, unvermutet in eine Filmkulisse getreten zu sein (Babelsberg ist nicht weit). Doch sind wir nicht für Architektur hier sondern für Hasso, oder genauer gesagt: Die Kunst, die Hasso Plattner in seinem Museum Barberini (auch eine brandneue Kopie des weggebombten Originals) zeigt.

In diesem Frühling dreht sich hier alles um Picasso, den nicht verspäteten, sondern späten Pablo, mit Skulpturen und Gemälden aus dem Besitz seiner zweiten und letzten Ehefrau Jacqueline (bzw. deren Tochter und Alleinerbin, Catherine Hutin). Obgleich nur selten ausgestellt, erscheinen viele der Werke vertraut, bekannt aus den Atelierphotos jener Zeit, in denen sie als Hintergrund für den Meister - häufig nebst ein oder zwei Hunden - fungieren.

Pikante Randnotiz, und fast schon gewagt: Die Eröffnung wurde am 8. März begangen und man lasse sich dies einmal auf der Zunge zergehen: Eine Ausstellung gewidmet dem männlichsten aller KünstlER - ganz ohne "*" - des Zwanzigsten Jahrhunderts, dem fünfbeinigen Minotaurus, dem Harvey W. der Maler, feiert Eröffnung am W̶e̶l̶t̶m̶e̶n̶s̶c̶h̶i̶n̶n̶e̶n̶u̶n̶f̶u̶g̶ Weltfrauentag. Mit größter Sicherheit handelt es sich nur um einen Zufall und nicht um bewußte Provokation. Moral außer acht gelassen, war Picasso einer der, wenn nicht der - nein, Korrektur: einer der größten Maler der Geschichte und der größte des Zwanzigsten Jahrhunderts und – wie bitte? Ach so, ja, das neue Millennium, Moral ist alles, nur eine, die absolut wahre und richtige, immer und überall, und Künstler, Helden, sind zum Stürzen da, bar jeder Sonderstellung fern der Masse? Der Twitter-Mob ließe Picasso heute keinen Platz zum Atmen mehr (nebenbei: Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, daß es sich bei den berühmten „shit storms“ um eine gut mittelalterliche Tradition handelt, damals noch wörtlich an den Pranger geworfen, dafür u.U. weniger nachhaltig?)? Gut, na dann, darf ich trotzdem weitermachen, Monologe führen für die Handvoll unbelehrbarer Konservativer, die noch weiterliest?

Der späte Picasso hatte kaum von seiner Größe eingebüßt, obwohl er nur selten sein selbstgestecktes Lebensziel zu verwirklichen trachtete (oder aber daran scheiterte): „Ich habe vier Jahre gebraucht, um wie Raffael zu malen, aber ein ganzes Leben, um wie ein Kind zu malen.“ (es ist nicht leicht, dem legendären Zitat eine konkrete Quelle, oder zumindest Jahreszahl, zuzuordnen). Festzustellen, was er stattdessen tat war ungleich einträglicher, geht am Ziel vorbei, wenn auch eine gewisse Routine – auf dem höchsten Niveau - kaum wegzudiskutieren ist. All diese Werke strahlen eine besondere Form souveräner Meisterschaft aus, Picasso hatte seinen Teil zur Kunstgeschichte längst geleistet, war nichts mehr schuldig, hatte nichts mehr zu beweisen. Schon in früher Jugend allen Alten Meistern ebenbürtig, startete er Bewegungen und revolutionierte die Kunst (und brachte es en passant zum schwerreichen Popstar).

Könnten manche Werke hier „zu Picasso“ sein, zu typisch, erstarrt in Selbstzitat und Pose? Die frühesten Bilder datieren von 1954, und vieles hier ist tatsächlich unverkennbar Picasso, in einem Blick identifiziert (im Halbschlaf, noch durch die dunkelste Sonnenbrille), lässige Meisterwerke die dem Meister wohl nicht einmal viel Anstrengung abverlangten. Fließbandproduktion, Massenausstoß, wurde ihm alles zu einfach, ein Routinejob?

Hat er sich tatsächlich nur noch selbst kopiert – und nicht vielmehr perfektioniert?

Sehen wir genauer hin: Da herrscht immer noch eine bemerkenswerte Stilvielfalt, und die interessantesten Werke sind gerade die, in denen Pablo nicht wie Picasso wirkt – er besaß diese Fähigkeit noch, zu überraschen. Der späte Picasso ließ seine früheren Phasen wiederauf- und hochleben, dazu aber auch andere Meister. Auf der einen Seite zitierte er sich selbst (in einem Beispiel nur unter vielen wird ein Eßlöffel zum Kopf einer Statue in Verneigung vor dem Tête de taureau von 1942), und auf der anderen seine Idole, historische und Zeitgenossen. Wir finden eine Version von Manets Déjeuner sur l’herbe (und habe ich Wahnvorstellungen, oder besteht tatsächlich eine Wahlverwandtschaft zwischen jenem Kopf eines Mannes von 1971 und Giuseppe Arcimboldos Renaissance „Fruchtmännern“ in Die Vier Jahreszeiten?). Ein Am Meer laufender Mann (1957) weist noch weiter zurück in die Geschichte, viel weiter, auf Primitivismus in seiner ursprünglichsten Form der Höhlenmalerei (heute malt noch Jérôme Mesnager ganz ähnliche Figuren). Zuweilen vereinte Picasso gar beides in einem Werk: Die Frauen von Algier evozieren einerseits Eugène Delacroix und andererseits Picassos eigene Demoiselles d’Avignon; gemalt in Reaktion auf den ausbrechenden Algerienkrieg, demonstrieren sie auch ein nicht nachlassendes Interesse an zeitpolitischen Entwicklungen.

All dies geschah zu einer Zeit, da viele Kollegen sich in die abstraktesten Experimente verstiegen, aber Picasso war längst an diesem Punkt gewesen, hatte all das, und mehr, und besser, fünfzig Jahre zuvor getan. Und er blieb auf der Höhe der Zeit, Experten weisen Einflüsse von Karel Appel, Jean Dubuffet, Philip Gaston, bis hin zu Andy Warhol nach. Nicht länger „cool“, nicht mehr der Avantgarde zugezählt, beobachtete er aufmerksam alles das in der (Kunst-)Welt geschah, zog Inspiration noch aus Modephotographie - wenngleich, wie Bernardo Laniado-Romero, der Kurator der Ausstellung, ausführt, Parallelen zu Richard Avedon signierten Magazinphotos auch bloß dem Zeitgeist geschuldet sein könnten statt direkter Kenntnisnahme - und Popmusik: Die Picassoexperten finden Motive von Beatles-Albumhüllen in Gemälden der Sechziger Jahre. (Fern vergleichbarer Genialität, oder bloß kultureller Relevanz, mag mancher da dieser Tage an eine andere Persönlichkeit denken, kürzlich verstorben, die ebenfalls bis ganz ans Ende am Puls der Zeit blieb, sich in ihrem Handwerk von Popkultur und Massenunterhaltung beeinflussen ließ, ein gewifssfer deuftschftämmiger Modedefsigner.)

In erster Linie, und fast allgegenwärtig, ist da aber Pablos großer Gegenspieler, Freund und Kollege, Henri Matisse.

Picasso – Das späte Werk beginnt mit einem Selbstportrait flankiert von zwei Jacquelines, in Reihe gehängt fast wie ein Triptychon, ist die linke Jackie das erste Portrait das er je von ihr anfertigte. Der Hintergrund mit „à plat“ Farbfeldern und ganz bewußter Unfertigkeit – das ist Matisse. Das Blau, das Grün, dieses Muster auf dem Boden – erinnern Sie sich an Henri’s Vue sur Nôtre Dame? Es gibt noch viele Beispiele mehr, halten Sie die Augen offen bei einem Besuch im Barberini, der natürlich unbedingt angebracht ist.

1955 investierte Picasso den Gegenwert einer künstlerischen Monatsproduktion (ganz willkürliche, unseriöse, Schätzung) in den Erwerb Kaliforniens. Oder auch nur der Villa "La Californie" in Cannes; der amerikanische Bundesstaat hätte aber wohl auch nicht völlig aus seiner Reichweite gelegen. Der Maestro zog hier mit Jacqueline und deren Tochter Catherine ein, derselben, die später die vorliegende Sammlung erben sollte (und einiges mehr noch, das zur Begleichung der lästigen Erbschaftssteuern dienen mußte) und die der Maler als seine „fille de lait“ bezeichnete, ein auf eine Amme anspielender Neologismus. Von den zahlreichen Portraits, die er von ihr anfertigte, zeigt das Barberini nur eines. Interieurszenen aus La Californie schreien wieder einmal „MATISSE!“, zugleich findet Picasso in ihnen zur kindlichsten Bildsprache seines Gesamtwerks. Und um dieses Thema endlich abzuschließen: Versuchen Sie, La Pique („Die Pike“, nicht die monochrome Version von 1961, die man auf Google findet, sondern eine quietschebunte von '59) zu betrachten, ohne an Jazz zu denken, das Matisse-Album.

Und Jacqueline, immer wieder Jacqueline, er malte sie häufig in seinen späten, und letzten, Jahren, und dennoch scheint sie hier überrepräsentiert. Kann es sein, das die Gemalte - und später ihre Tochter – sich (/sie) nicht hergeben, sondern in der Sammlung behalten wollte? Die Trauer um Picasso wird, nebenbei bemerkt, als das Hauptmotiv für ihren Suizid im Jahre 1986, dreizehn Jahre nach seinem Tod, angeführt.

Neben wenigen „direkten“ Selbstportraits (warum eigentlich?), fehlen im Barberini nicht die Minotaure. Eine Herde eingepfercht in einen Saal - eine Arena -, wittern sie wohl, und halten Wacht über die Akte in zwei nahen Räumen. Wer wagte es, Ihnen den Weg zu versperren, nachts, wenn der letzte Besucher das Haus verlassen hat und die Stampede beginnt?

Bei unserem letzten Besuch in Potsdam führte uns Richter her, und erklärte auf Nachfrage eines Pressevertreters, er wünsche sich absolut kein Museum für seine Werke allein, das exakte Gegenteil von Picasso mit seinen – wieviele sind es eigentlich inzwischen?, zählen wir einmal durch: Barcelona, Paris, Malaga, Antibes, Vallauris, nochmal Malaga, Buitrago del Lozoya, Münster (das gibt es wirklich, vor allem für Drucke, aber immerhin), das sind acht Museen, bis jetzt. Nimm das, Pablo. Das späte Werk ist die umfangreichste Ausstellung am Barberini Museum bisher und behandelt nur die letzten zwanzig Jahre einer Karriere, die über sieben Jahrzehnte spannte – nimm das, Gerd. Der schiere Umfang von Picassos Werk kann immer wieder aufs neue beeindrucken. Malen war seine Natur, natürlich, und nötig, wie atmen, eine Art zu leben.

Der Künstler ist immer noch eine ergiebige Einkommensquelle für die Familie, wir haben allerdings keinerlei Informationen darüber, ob sie zur Verwaltung der Sammlung eine Buchhaltungssoftware verwenden, und falls dem so ist, ob SAP oder Oracle. In letzterem Fall könnte vor kurzem ein besonderes Sonderangebot eingegangen sein, mit der Einladung, die Plattform zu wechseln (denn Barberini ist Plattner ist SAP, für die Ignoranten).

Picasso – Das Spätwerk, 9. März-16. Juni 2019, Museum Barberini

World of Arts Magazine – Contemporary Art Criticism

 


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