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  • Christian Hain

Zeit für Spiegel, Berge, Cyborgs. Und Korea. Lee Buls Crash am Martin Gropius Bau


(Berlin.) Die Werke asiatischer Künstler werden von westlichen Rezipienten häufig mißverstanden. Im Falle Lee Buls kann das schon mit dem Namen beginnen: Die Familie kommt zuerst, in unseren Breitengraden hieße es Bul Lee - ohne Verwandtschaft zu Bruce -, und zudem ist dieser BulLe(e) eine „sie“, eine Künstlerin, auch wenn das natürlich keine Rolle spielt. Da dies somit geklärt wäre, können wir uns in aller Ruhe ihrer Ausstellung am Martin Gropius Bau widmen, Crash. ... Nein, stop, zuerst möchte ich mich für obige Sätze entschuldigen. Wie der MGB zu berichten weiß, wurde die Künstlerin in ihrer Kindheit ob jenes auch in südkoreanischen Ohren ungewöhnlich klingenden Namens gehänselt. Sie verdankt ihn der Mutter, die nicht nur ein emanzipiertes Leben führte indem sie es der harten und häßlichen Arbeit hinter den Kulissen der Mode- und Schmuckproduktion opferte, sondern darüberhinaus auch (teilweise) japanische Wurzeln hatte, ein Umstand, der ihr allerlei Schwierigkeiten bereiten sollte als sie sich entschloß, im Land des vormaligen Kriegsgegners zu leben.

Ein anderer Konflikt, der Koreakrieg, war zu diesem Zeitpunkt erst kürzlich beendet (ist es bis heute nicht, nur der Waffenstillstand immer noch inkraft) und die koreanischen Südstaatler auf der Suche nach einer eigenen Position vis-à-vis der sich in den Anfängen befindenden Kim-Dynastie im Norden, welche ihrerseits regelmäßig Agenten mit Kidnappingaufträgen über die Demarkationslinie schickte. Anfänglich ein Sozialist wie die Kims, verwandelte Park Chung-hee den Süden nach seiner Machtergreifung 1963 – vier Jahre vor der Künstlerin Geburt, und er blieb die kommenden sechzehn Jahre an der Macht – in eine Militärdiktatur, wie sie den USA in jenen Zeiten stets als der liebste Verbündete galt. Wie allgemein üblich, versimpeln Lee Bul und Kuratorin/MGB Chef Stephanie Rosenthal die historischen Hintergründe im Katalog zu „als Linker hatte man es nicht leicht“ (so auch die Familie Lee). In diesem Zusammenhang erfahren wir u.a., wie schwer es war, im Süden Arbeit zu finden – und wie leicht, sie zu verlieren! – hing man nur den "falschen" politischen Ansichten nach. (Man bemerke: das war noch lange vor den sozialmedi(ev)alen Mobs von heute.)

Als die Mutter eine wohl unverhältnismäßige dreijährige Gefängnisstrafe für einen Verstoß gegen das Versammlungsverbot verbüßte, fand sich Lee Bul in der Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister wieder. Leben und Beruf der Mutter dienen zur Erklärung für die häufigen Verweise auf die „Verpackungsindustrie“ - Glitzer, Perlen, usw. - in Lee Bul’s Kunst, Objekte und Symbole, die für sie ganz eigene, düstere, Konnotationen einschließen.

Das Verständnis anderer Werke erfordert mehr Recherche, oder bedingungsloses Vertrauen in die Wandtexte der Ausstellung. Hinter einer Skulptur, die auf den ersten Blick als bernsteinfarbener Eisberg aus Kunstharz erscheint, ein kristalliner Blob, verbirgt sich ein Mausoleum, ein Kokon für – nein, nicht Schneewittchen! und Lenin auch nicht - sondern Park Chung-hee höchstselbst, in Form einer Minipuppe, wie sich aus der Nähe zeigt. Ein weiteres Ebenbild des Generals schwebt nur mit einer luftigen Sumo-Windel bekleidet unter der Decke – ein patriotisches Sexspielzeug womöglich? Er genießt noch immer hohes Ansehen bei Teilen der Bevölkerung, die seine Wiederkehr sehnsüchtig erwarten. Bestrebungen der Tochter, die präsidiale Familientradition fortzuführen, endeten bereits 2017 nach kümmerlichen vier Jahren in einem Korruptionskandälchen (sie sind sehr emanzipiert in Korea). Die Barbarossa-artige Installation könnte mit Bedacht für Berlin ausgewählt worden sein, eventuell weiß man aber auch gar nicht um die Analogie (unser heilig-römischer Kaiser schlummert bekanntlich auch seit bald neun Jahrhunderten in einem Berg seiner Auferstehung entgegen). Eine Reihe schwarzer Glasperlen führt Menschenhaar-gleich von General dem weiteren Raum zu, in Vergangenheit oder Zukunft.

Eine Badewanne, in Gebirgslandschaft und gefüllt mit schwarzem Sud, Pech, Kaffee, Blut oder Tinte (oder dem Inhalt jenes Bechers auf jeder Party, der allen Gästen zum Aschenbecher dient und zur Entsorgung diverser Flüssigkeiten), referenziert einen Vorfall, der fest in der südkoreanischen Psyche verankert ist, i.e. die Folterung und Tötung eines Studenten durch das Militär - geradezu Marat-esk im Bade. Südkoreaner realisieren den Zusammenhang instinktiv.

Eine um einen Berggipfel geschlungene Carrerabahn mit Blinklichtern verkündet auf einem Neonschild: “Weep into stones // Fables like Snow// Our few evil days”. (Schluchzen in Steine // Fabeln gleich Schnee // Unsere wenigen bösen Tage.) Kein Haiku - oder doch? Die Worte zitieren Sir Thomas Browne, und zur Abwechslung einmal nicht das Urn Burial, sondern ein Gedicht. ... Moment, einmal im Katalog nachgeschlagen: Sie tun es doch. Allerdings wissen die Ignoranten nicht, wovon sie sprechen und nennen den Ursprungstext ein Gedicht. Die in der Installation verwendete Version ließe sich mit Fug und Recht als eigenständige Komposition Lee Buls bezeichnen, zusammengefügt aus Schnipseln des Originals. Das Zitat lautet vollständig:

“Darkness and light divide the course of time, and oblivion shares with memory a great part even of our living beings; we slightly remember our felicities, and the smartest strokes of affliction leave but short smart upon us. Sense endureth no extremities, and sorrows destroy us or themselves. To weep into stones are fables. Afflictions induce callosities; miseries are slippery, or fall like snow upon us, which notwithstanding is no unhappy stupidity. To be ignorant of evils to come, and forgetful of evils past, is a merciful provision in nature, whereby we digest the mixture of our few and evil days, and, our delivered senses not relapsing into cutting remembrances, our sorrows are not kept raw by the edge of repetitions.”

In etwa also:

„Dunkelheit und Licht trennen den Lauf der Zeit, und Vergessen teilt unsere Existenz mit Erinnerung; kaum besinnen wir uns unseres Glücks und selbst stärkste Streiche des Leids bewirken nur kurzen Schmerz. Die Sinne dulden kein Extrem und Sorgen zerstören uns oder sich selbst. Fabeln sind, in Stein zu weinen. Leid verleiht Schwielen; alle Kummer sind schlüpfrig oder fallen wie Schnee, und doch ist unsere Ignoranz kein Übel. Das Nichtwissen um künftiges Leid und das Vergessen von vergangenem sind eine Gnade der Natur, die uns die Mischung unserer wenigen bösen Tage erdulden läßt und da unsere Sinne, sobald erholt, nicht in schmerzliche Erinnerung zurückfallen, erhält die Klinge der Wiederkehr unsere Sorgen nicht als offene Wunden.“

Wir werden darüberhinaus ermutigt, der Künstlerin Atelier in Seoul, die Hagia Sophia in Byzanz, „monolithische Architektur“ und “Hugh Ferris’ Science Fiction Roman The Metropolis of Tomorrow (1929)” in dieser Installation wiederzuerkennen. Eine Übung in Postmodernismus?

Das voluminöseste Werk in der Ausstellung ist ein siebzehn Meter langer weißer (phallischer?) Zeppelin, ein Symbol gescheiterten Fortschrittsglaubens, das im Atrium hoch über einer parallel stattfindenden Archäologieausstellung schwebt. Im Wissen, die Künstlerin interessiere sich ganz besonders für verschiedene Zeiten und Realitäten, ziehe zudem routinemäßig Inspiration aus der Literatur, scheint es nicht gänzlich aus der Luft gegriffen, hier an Thomas Pynchons Against the Day zu denken.

Um die Jahrtausendwende, über sechzig Jahre nach jenem schweren Schlag, der die deutsche Zeppelinindustrie auf einem regnerischen Flugfeld in New Jersey traf, gab es Bemühungen, die Technik zu reanimieren, heute dient der CargoLifter Hangar unweit von Berlin als maritimer Freizeitpark. Kommt Zeit, geht Technik.

Ein anderes ausgedientes Luftfahrzeug, ein Heißluftballon, blockiert ein Nebentreppenhaus des MGB; transparent und mit bunten Neonlämpchen befüllt gleicht es jenen Süßigkeiten- und Spielzeugballons für Kinder, die zusehends in Mode kommen.

Und immer so fort in einer erstaunlichen Sammlung von Skulpturen und Installationen mittleren Formats, darunter ein futuristischer Autoprotyp, der Besucher zu Karaoke mit 80er Jahre Popmusik einlädt, eine begehbare Grotte in - wieder einmal - einem künstlichen Berg, mit bunten Spiegeln die eventuell als Verweis auf Niki de Saint Phalle gelten können, und ein labyrinthartiges Spiegelkabinett – verlaufen Sie sich nicht auf dem Weg zur zentralen Reaktorkammer, in der eine Wand aus Glühbirnen (böse, schlecht, Klimavernichtende Relikte dunkler – doch wohlbeleuchteter - Vergangenheiten) wohlige Wärme schafft. Die Außenwände sind mit Spiegelschrift bedeckt, die allen Spiegeln zum Trotz aus keinem Winkel „korrekt“ entzifferbar ist.

Anderswo treffen wir auf havarierte Raumschiffe, grotesk verformt wie in einem Beaming-Unfall – aber wer würde schon ein ganzes Raumschiff beamen! – und kaum weniger verstümmelte Cyborgs. Arme, Beine, blanke Torsi, in schwarz, silber, rot und weiß, mit mehr als einer Prise Mangaheld. Postmodernismus hatten wir schon, ist das jetzt Cyberpunk? Chimären, einige sehr technisch, andere organischer, verlieren Gedärme gleich Baumwurzeln als ein metallener Oktopus den Stamm umarmt (verspeist?). Traum der Fischersfrau? Ctulhu?? Davy Jones??? Nein, bei näherem Hinsehen entpuppen sich beide als Einheit, als Symbiose aus Pflanze, Tier und Technik.

In ihrer Faszination für Körper in Transformation begann Lee Bul ihre Karriere mit Performances, von denen wir hier einige Zeugnisse sehen. Blut und Brüste, wer könnte dieser Form des Feminismus widerstehen?

Lee Bul: Crash ist eine große und -artige Ausstellung, rätselhaft, in Teilen beunruhigend, mit Skulpturen, Installationen und sogar Zeichnungen und Gemälden. Die meisten Arbeiten existieren noch in einer zweiten, maßstabsgetreu verkleinerten Version ähnlich Marcel Duchamps’ Boite-en-valise. Zuweilen mag man denken, an Lee Bul sei ein hochbegabter Designer von Horrorfilm-Sets verloren gegangen (erinnern Sie sich des koreanischen Beitrags zur Berlinale 2017, den kaum ein "Westler" verstand? Schauen Sie Train to Busan, der ist besser. Mit Zombies). Und noch ein Wort zum Schluß: Es ist unbedingt empfehlenswert, sich während des Besuchs Notizen anzufertigen, unentwegt. Nicht allein, um das Gesehene im Nachhinein (noch besser) zu verstehen, sondern vor allem, um sich einmal im Leben wie ein echter Kimscher General zu fühlen (auch wenn das das andere Korea ist). Und immer schön nicken, und lächeln.

Lee Bul, Crash, 29. September 2018-13. Januar 2019, Martin Gropius Bau

World of Arts Magazine - Zeitgenössische Kunstkritik


 


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