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  • Christian Hain

Sommerliches Dreigestirn am KW – Für ALLE Geschlechter(*innen)


(Berlin.) Teil I: Das.

Das Leben ist nicht immer leicht und frei von Risiken und Nebenwirkungen, ist man mit einem gewissen Sinn für schwarzen – dunklen! dunklen! – Humor und allgemein einer dem Zynischen sich zuneigenden Weltsicht gesegnet oder vielmehr: gestraft. Ich möchte daher im voraus für die kommenden Worte um Verzeihung bitten, wenngleich... vielleicht finden sich doch ein oder zwei, gar eine Handvoll Leser, denen die Ironie nicht verborgen bleibt und die sich auf die Lippen beißen, ein gar und gar unangebrachtes Grinsen zu verbergen, wenn der zweijährliche Kunstpreis eines Pharmaunternehmens (welches seinerseits den Zenit des Erfolgs in der zweiten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts erreichte) an eine Künstlerin geht, die – sagen wir einfach, es besteht da eine gewisse Ähnlichkeit zu Staaten des Ostblocks vertretenden Olympioniken des Zwanzigsten Jahrhunderts, jene für deren Bedürfnisse der berühmt-berüchtigte „Sextest“ einst erfunden wurde... - Und sie hat tatsächlich die 1980er Jahre in Moskau verbracht!

Das ist natürlich unfair. Zuallererst wird die Schering Stiftung nicht müde zu betonen, man habe alle Verbindungen zur Schering AG, heute eine Tochterfirma Bayers, längst gekappt und sei nurmehr eine weitere Kunst- und Kulturstiftung, die von ihrem Gründungskapital zehrt (dabei mit einem klangvollen Namen ausgestattet ist, der immer noch die ein- oder andere Tür in Berlin und Deutschland öffnen mag). Im hauseigenen Ausstellungsraum (oder –räumchen) Unter den Linden pflegt man in erster Linie das Niemandsland zwischen Kunst und Wissenschaft. Möglicherweise „in-house“ nicht mit einem Übermaß an unverdünnter Kunstexpertise ausgestattet, wandte man sich mit der Bitte um Unterstützung an die Spezialisten des KW, als es vor einigen Jahren darum ging, einen Preis zu installieren, der kein Generikum anderer etablierter Preise sein, sondern die „wichtigsten Neuentdeckungen der vergangenen zwei Jahre“ unter internationalen Künstlern würdigen soll. „Neuentdeckung“ ist dabei durchaus weit zu fassen, auch wenn die diesjährige Preisträgerin mit ihrem im weiteren Sinne auf Körperlichkeit und futuristischer Modifikation jener ausgerichtetem Gesamtwerk perfekt in die kuratorische Linie der Schering Stiftung passen mag, kann Anna Daučíková bereits auf eine Jahrzehnte(!) währende internationale Karriere zurückblicken.

Daučíková „identifiziert“ sich selbst als “transgender”, das muß also das berühmte „d“ sein, wie es seit kurzem in Stellen*innenauschreibungen*innen obligatorisch ist – oder etwa nicht? Einerseits eilt ihr der Ruf voraus, andererseits wird es hier ein wenig widersprüchlich, oder inkonsequent: Der*Die*Das Künstler*in bezeichnet sich mit, und besteht auch bei der Ansprache durch andere auf die Verwendung der, weiblichen Personalpronomen, „sie“, „ihr“, „ihre“ etc. (gibt es überhaupt noch ceterae?) – Aber ist sie dann nicht einfach eine lesbische Frau, wie sie die Welt seit Anbeginn der Tage kennt? Wozu das neue Vokabular, ist denn alles nur Marketing? Wie Daučíková stammte auch Martina Navratilova, die ihre sportliche Karriere ungefähr zum selben Zeitpunkt begann wie Daučíková ihre künstlerische, aus der Tchech(oslowak)ei. Vielleicht liegt hier eine grundsätzliche Begriffsverwirrung vor, vielleicht liegt es nur an mir, doch war ich in der Tat bislang überzeugt, “transgender” bezeichne Zwitterwesen zwischen den Geschlechtern, Hermaphroditen, jenes „dritte Geschlecht“, das die indische Gesellschaft angeblich seit Jahrhunderten anerkennt, oder noch Menschen, die sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen haben. Und merken Sie, wie altmodisch ich bin – ich verwende noch „Geschlechter“ wo der/die/das Hipster*in nur „gender*in“ sagt?! Langsam hier, dieser Artikel wird uns einmal mehr in schwere See führen, mehr behandeln als bloße Ausstellungskritik, aber beginnen wir mit der Kunst. ...Nur ein Punkt verdient es, zuvor noch angeführt zu werden, und nicht allein, weil das KW mich und schreibende Kollegen mit einer Fahrt in einem echten VIP-Shuttle-Bus bestochen hat (mit tiefschwarzen Fenstern und Stern auf der Haube! – nur die Außentemperaturanzeige schien defekt zu sein, trotz sommerlicher Hitze und Klimawandels weigerte ich mich standhaft, den angezeigten 79°C Glauben zu schenken; und nicht einmal Greta persönlich könnte mich vom Gegenteil überzeugen), deren Ziel ein der Tschechischen Botschaft zugehöriges Kulturzentrum war, dort bei Wein, Sekt und Büffet - auf Nachfrage bestimmt auch echtem Pilsener - der Preisverleihung und diversen Reden zu folgen (in mindestens einem Fall: zu erdulden): Anna Daučíková ist eine durch und durch sympathische Person, sehr offen und charmant, nicht verbittert und gekränkt. Wie auch immer sie sich definiert.

Ohne Frage ist die Künstlerin nicht zufrieden mit dem Körper, in den sie geboren wurde und anstatt sich darauf zu verlassen, künftige Reinkarnationen durch Meditation „passender“ zu gestalten, entschied sie sich, ihn – nun, nicht tatsächlich zu verändern, doch zumindest, neu zu interpretieren (faszinierend, wie Bodybuilder und Gender-Aktivisten je eigene Definitionen von „definieren“ zugrundelegen). Die ersten Werke der Ausstellung setzen den Ton für alles kommende, wir sehen die Künstlerin beklagen was ihr fehlt: ein Video zeigt nicht anderes als den sich öffnenden Reißverschluß ihrer Jeans, dahinter – nichts enthüllend (Freud wäre entzückt: Penisneid bestätigt. Er war allerdings kein Fan der Homosexualität; das war nicht einmal Wilhelm Reich), wie auch das was sie stattdessen bekam: In einer Photoserie preßt Daučíková die Brust flach gegen eine Glasscheibe (nein, Sie dürfen sie nicht für sie halten, solange sie keine Verwendung dafür hat). Ein Umtausch ist in diesen Fällen nicht kostenlos, aber was kann man tun?

Wie wir hören, betrachtet Anna Daučíková die Photo- oder Filmkamera als eine Prothese, eine Ergänzung – Verbesserung? – ihres Körpers und benutzt sie, jenen zu studieren, herauszufordern, zu modifizieren, neu zu interpretieren, - zu akzeptieren?

Triviale Erkenntnis, aber jedes Bild existiert mindestens zweifach, auf der Netzhaut wie im Geiste, und beide müssen nicht deckungsgleich sein. Welches ist nun die beste Weise, sich selbst – nicht zu erkennen, aber: zu betrachten, sich sich selbst vor Augen zu führen? Sie hocken sich an einen Fluß und schauen mal, was sich da so ‘rumtreibt? Danke für den Beitrag, Narziß, wir kommen darauf zurück, und nein, liebe Millenials, „Selfie“ ist auch falsch, zumindest in diesem Fall lautet die richtige Antwort: „Glas, ein Spiegel!“ Die Ausstellung ist voller Glaspaneele, die aber nicht richtig „funktionieren“, nichts und niemanden reflektieren - da ist nur Transparenz und Leere, unsichtbare Wände, die gar nichts verraten – und damit offen sind für jede Deutung. “Im Glashaus sitzen“ mag in den Sinn kommen, zerschlagene, zersplitterte Bilder, die Absenz jeder Reflektion ist von immenser Bedeutung, die Absenz eines ausdefinierten, interpersonell gültigen Bildes. Auf einer mehr praktischen Ebene hoffen wir, seitens des KW hat man das alles gründlich mit der Versicherung abgesprochen, weit und breit stehen keine Warnschilder obwohl es wahrlich des Besuchers geballte Aufmerksamkeit erfordert, nicht einem*r armen Vogel*in gleich ins feste Nichts der gläsernen Raumteiler zu prallen (der Einschlag könnte selbstverständlich zur Katharsis dienen, als Schockbehandlung, Besucher zur multiplen Gender-Realität aufzurütteln). Seit den Anfängen ihrer Karriere nutzt Daučíková das Material schon viel und gerne in ihrer Kunst.

Abgesehen von Glas sind hier vor allem Körperteile zu bestaunen, bewegte und unbewegte Bilder solcher auf Papier und Bildschirmen – die Ausstellung ist aber auch nicht sonderlich umfangreich. Es mag im Kontext logisch sein, kaum konventionelle Ästhetiken am Werk zu finden, der Schwerpunkt liegt auf Dokumentations-, Informations- und eventuell Aufklärungsarbeit, dazu viel Selbstdarstellung.

Und dann wartet da noch die zentrale Installation in KWs Haupthalle. Große Schirme zeigen - angeblich „sexualisierte“ Tanzbewegungen vollführende - Nahaufnahmen von Händen und Füßen (m/w/d, deren Inhaber zumindest), die Künstlerin beim Schneiden und Brechen von Glas oder dem Sortieren, Ent- und Zusammenfalten von Kleidungsstücken. Den Boden bedecken mit unbehauenen Steinen fixierte Glasplatten die eingeritzte Inschriften tragen. Kein Ton (im Film), Steine und Scherben. Betrachten Sie obiges Photo genau, das in der Ausstellung herrschende Halbdunkel verunmöglicht es, mehr als ein paar Buchstaben, mit viel Glück ein Wort, zu entziffern. Ein Transkript hielt man nicht für nötig. Und nein, eigene Photos zu schießen, die Ausschnitte zuhause zu vergrößern und auszuleuchten, ist keine gute Idee – wehe, wenn das Handy aus den Fingern gleitet, über die Platten gehalten...

KWs Versicherung muß noch einmal erwähnt werden, all das Glas auf dem Boden, in der Dunkelheit... Wie hoch sind die Chancen, Angestellte und Praktikanten schließen täglich Wetten ab, was wohl als nächstes zu Bruch geht? (Zusätzlich zum „Death Poll“, dem Verletzungsbingo, bei dem jede am Glas gebrochene Besuchernase Bonuspunkte bringt?)

Die Installation weiß visuell, „atmosphärisch“, zu beeindrucken, was natürlich auch am fehlenden Licht liegen kann. Allgemein fehlt das hier, leider ist politische Kunst allzu häufig doch nur (mehr oder minder) künstlerische Politik. Manches erinnert auch an Selbsthilfebücher, autobiographische Bewältigungs-Ratgeber nach dem Muster „Wie ich lernte, mit ... umzugehen“, „Mein Leben mit/Kampf gegen ...“ „Wie ich ... besiegte“, etc. pp. Potentiell interessant für Betroffene, ansonsten... eher nicht.

Anna Daučíkovás Kunst ist autobiographisch und damit naturgemäß selbstfokussiert, Kunst, die Aufmerksamkeit schaffen möchte für ein Thema, das sich zur Zeit in jedermanns Munde findet – „Marginalisierte Minderheiten“ klingt fast schon anachronistisch, da die Mode den Diskurs beherrscht.... Die Künstlerin scheint nicht ganz frei von einem Charakterzug, den viele „Trans-Menschen*innen“ teilen, namentlich einem überdurchschnittlich ausgeprägten Sinn für das eigene Ich und dessen Relevanz. Anna Daučíková macht da keine Ausnahme, beschäftigt sich obsessiv mit sich selbst, dem eigenen Körper und seinem Bild. Ohne Problem keine Kunst, Selbstbestätigung kann eine positive Botschaft übermitteln, aber auch ermüdend wirken. All diese Kampagnen erschaffen (leider) das Bild einer immens ego-manischen Bevölkerungsgruppe, Menschen, die sich zumindest in Teilen ihre Probleme auch selber schaffen. Gedanken, die fortwährend um sich selbst kreiseln, niemals bereit, gegebenes zu akzeptieren, mit aller Macht und Verzweiflung den Wechsel wollend, die Frage muß erlaubt sein: Macht es Euch glücklich (einmal vorausgesetzt, das sei so wichtig wie häufig angenommen)?

Feinheiten und Schwierigkeiten allerorten, wenn man nur zu suchen beginnt, in einer jener Laudationen hörten wir, es habe bislang je soundso viele männliche und weibliche Preisträger gegeben – in welche Kategorie zählte man die/der/das diesjährige/n, und überhaupt: müßten es nicht deren drei sein? War die Welt nicht einfacher bevor Newspeak übernahm, und man noch von „Transvestiten“ sprach? Travestie in „umgekehrter“ Form, Frauen in Männertracht (das ist nebenbei der Punkt, der mir bei Lesbierinnen immer schleierhaft blieb: Ihr „männlicher“ Stil von Kurzhaarschnitt zu Hosenanzügen wirkt kontraintuitiv, wenn ihnen doch Frauen attraktiver sind als Männer – ernsthaft, und unprovokativ, gefragt: Wenn Ihr Männer ablehnt, wie könnt Ihr aneinander, und letztlich auch an Euch selbst, Gefallen finden - rein optisch, ästhetisch, betrachtet?). Wie zulässig ist es eigentlich, von „gewählten Gender-Identitäten“ zu sprechen, wenn doch alle Identitäten inzwischen als bloß illusorische Instrumente gesellschaftlicher Unterdrückung des natürlichen Nichts gelten?

Ich muß darauf bestehen, ich bin weder „homophob“, noch wirklich „miso-homo“, nur ungemein egoistisch habe ich meine „Verqueren“ (darf man das so übersetzen?) am liebsten wie Hubert Selby sie beschrieb, als Sub- und Gegenkultur, – anders, nicht gleichgeschaltet, draußen, nicht eingemeindet. „Equality“ bedeutet immer auch die unwiderrufliche Vernichtung von Minderheiten, differenzieren bedeutet Abgrenzung und Vielfalt existiert nur wenn, und wo, man sie schafft.

Wie so oft zu beobachten ist, gibt es auch hier einen Krieg um und gegen Worte, und wie so oft, ist er übertrieben, sinnlos, idiotisch. Provokation gefällig? Ich bin von einer angeborenen Sehschwäche betroffen, die ich durch das Tragen einer Brille oder von Kontaktlinsen ohne weitere Beeinträchtigung ausgleichen kann. Ich fühle mich nicht beleidigt, behauptet jemand, Kurzsichtigkeit sei per definitionem eine Krankheit. Stellt man nun aber fest, eine angeborene, psychologische, Form der Unfruchtbarkeit, die sich durch moderne Reproduktionsmedizin ebenso wie durch das mindestens einmalige Überwindes eines psychischen Widerstands ohne weitere Beeinträchtigungen ausgleichen läßt, sei... Lassen wir das. À propos Sprache, auch dem(?) KW kann eine gewisse Verwirrung nicht abgesprochen werden. Als Eigenname noch einfach, kommen die Probleme mit den Artikeln. Heißt es tatsächlich „das KW“, weil eine Art Museum (nicht nach ICOM-Definition, da sammlungslos)? Das Kürzel aber steht für „Kunst-Werke“, und das Teekesselchen umfaßt Gemälde, Skulpturen, usw. ebenso wie eine Fabrik, denn letzteres war das Gebäude einmal, bevor Biesenbach und Ko. in den 90ern übernahmen. Das Werk, die Werke, soweit noch verständlich, nur besucht man den Internetauftritt, stolpert man – sollte man stolpern, ist man mit ein wenig Sprachgefühl ausgestattet - über “Die KW Institute for Contemporary Art”, und das wiederholt. (Gut, daß da kein Komma steht!) „Institut“ ist im deutschen transse- nein: Neutrum. Ergo „das KW Institut“ (Sg.) und „die KW Institute“ (Pl.). Allerdings signalisiert die Fortführung “for Contemporary Art”, daß es sich um einen englischsprachigen Eigennamen handelt, „the kay-doubleyou Institute for Contemporary Art”. Das ist dann aber Singular und immer “das”, niemals “die”. ...Vielleicht sollte man auch nicht immer alles so genau nehmen.

Nur soviel sei noch angemerkt: der Unterschied zwischen bspw. Rußland, wo die öffentliche Preisung der Homosexualität (legale) Sanktionen zeitigt und anderen Ländern, in denen das Gegenteil, die öffentliche Abwertung der Neigung, in selbige münden kann, sind unter Umständen gar nicht so groß sein wie behauptet. Es gab einmal einen dritten Weg, den der stillschweigenden Tolerant, weder beifällige Ermunterung und Zelebration, noch aktive Verfolgung. Aber auch das ist Marketing: Hast du nichts gutes sagen, halt einfach die....

Erratum: Anna Daučíková wurde nicht in der tschechischen, sondern der slowakischen, Tschechoslowakei geboren, Ort der Preisverleihung war aber dennoch eine tschechische Kulturinstitution. Dessen bin ich mir gewiß aus mindestens zwei Gründen: Erstens lagen da Broschüren zu Prag, tschechischer Kultur und tschechischem Bier aus und zweitens konsumierte ich nicht genug des letzteren, als daß sich Konsequenzen hätten bemerkbar machen können (das war keine Reise nach Prag).

Teil*in II: Die.

Der zweite diesen Sommer mit einer Ausstellung am KW gewürdigte Künstler verortet sich selbst nicht zwischen den (traditionellen) Geschlechtern, sondern ist „nur“ eine Frau - das sollte wahrlich nicht mehr als „marginalisiert“ zählen (war auch nie eine Minderheit). Die wichtigste Information zu Heike-Karen Föll zuerst: Sie hat einen Lehrstuhl für „Kunst im Kontext“ an der Berliner Universität der Künste inne. - Wer hätte gedacht, daß dergleichen existiert? Ganz sicher nicht ich, und je mehr ich darüber erfahre, desto mehr bestärkt sich mein Verdacht, Kunst sei in dem Kontext eher entbehrlich. Oder vielleicht nicht, doch die bloße Kontemplation eines Kunstobjekts, jener Entität, die – potentiell – einmal künftigen Generationen gegenübertritt, da die letzten Überlebenden des Dritten Weltkriegs, der Zombieapokalypse, oder des Klimawandels – natürlich: des Klimawandels! – scheitern müssen, seinen verlorenen Kontext zu erraten, wird nicht weit führen.

Eventuell läßt sich die Situation mit dem Verfassen komplexer Abhandlungen oder eines verschachtelten Romans vergleichen, ohne jemals Stift oder Tastatur unter die Finger zu nehmen (noch einen Touchscreen und ganz nebenbei: F---t euch, Apple, für die bewußte Verwendung der schlechtestmöglichen physischen Tastatur in euren neuen Laptops, um die Welt auf deren komplette Abschaffung vorzubereiten), stattdessen alles in die Umschlaggestaltung oder das Inhaltsverzeichnis zu packen. Letzteres ist durchaus wörtlich zu nehmen: Föll zeigt u.a. die Inhaltsverzeichnisse von – vor Ort unidentifizierten, wie aber aus Kontextinformationen hervorgeht: ihren eigenen - Künstlerbüchern, behauptet auch, die lese sie in Buchhandlungen und Bibliotheken am liebsten (Inhaltsverzeichnisse, nicht die eigenen Werke!). Ob das nun Neugierde auf den Kontext weckt oder nicht sei einmal dahingestellt, bis zu fünf Kapitel auf einer einzigen Seite erscheint zumindest ... speziell. „Never judge a book by its cover“, gewisse Leitlinien lassen sich doch erraten, oder (fehl-)konstruieren. ...Vielleicht am Ende gar nicht so doof.

Die Retrospektive versammelt Werke von 1993 bis heute und überfordert den Besucher dabei nicht durch Quantität. Kaligraphie-beeinflußte, monochrome Abstraktionen aus wenigsten Pinselstrichen, an sich nicht schlecht, aber auch schon tausendfach gesehen, von besseren und schlechteren Künstlern, der Kontext ist jetzt ein anderer.

„Aneignung“ ist ein wichtiger Aspekt in Fölls Kunst, eine ganze Wand findet sich mit Kopien von Lucio Fontanas „spatialen“ Schlitzen bedeckt. Fölls Beitrag dazu sind Worte und Satzfetzen, die Konnotationen, Interpretation – den Kontext! – in eine bestimmte Richtung lenken. Leider keine originelle. „An Outsider“ (Ein*e Außenseiter*in), “Gilles Deleuze: ‘Sacher-Masov und der Masochismus’, usw. Wer hätte das gedacht: Fontanas Werke lassen sich auch als stilisierte weibliche Genitalien interpretieren. Genaugenommen: Jeder.

Andere Aneignungen betreffen Printwerbung und Produktverpackungen von Lego bis Müsli, mit wenigen Linien von Fölls Hand verziert. Manches davon könnte man für Collagen halten.

Die Künstlerin kümmerte sich über das normale Maß hinaus um die Ausstellungsarchitektur, das bemerkt der Besucher zwar nicht unbedingt, dieses Föll House (...) enthält aber bewußt „sinnlose Leerstellen und nutzlose Winkel“. Wenn der Gesamteindruck zuweilen an das Atelier eines Modedesigners erinnert, mit wenigen Skizzen und „Inspirationen“ an den Wänden, muß das kein Zufall sein. Heike-Karen Fölls It Paintings referenzieren „It Girls“ (das ist keine abfällige Bezeichnung für das dritte Geschlecht!) in manuellen und digitalen Zeichnungen. Die iPad-Animation eines wogenden Linienbündels - in mancher Einstellung den Nike „Swoosh“ evozierend (falscher Kontext!?) soll via den Disney Film „Rapunzel – Total verfönt“ feministische Fragestellungen aufwerfen. Gut zu wissen.

Zuweilen liegen – höchstwahrscheinlich den Kontext mißverstehende – Assoziationen nahe, eine einzelne Linie schwarz auf weiß neben den Worten „total femme“, eine fast durchgängig weiße Leinwand und „pretty boy“... alles offen, alles nur im Auge der*die*des Betrachters*in?

Einmal mehr überschattet und erstickt kontextueller Diskurs die Kunst.

Teil III „Der“

Zuguterletzt findet sich dann noch eine Retrospektive des kanadischen 70er Jahre Kollektivs/Projektes Image Bank. Genau zum richtigen Zeitpunkt, möchte man da sagen, eröffnete doch kürzlich erst ein großes 70er Revival am Palais Populaire (dazu bald mehr). In einer Mischung aus Mail Art und vorweggenommenem File Sharing Network erbaten und sandten sich teilnehmende Künstler und Institutionen Bilder als oder von Kunstwerken. Lange Listen offenbaren Namen (oder Pseudonyme) der Teilnehmer sowie ihre teilweise doch sehr speziellen Wünsche. Man versuchte hier nebenbei, das überkommene Distributionssystem von Kunst zu unterminieren und agierte gar international – insbesondere in Paris fanden sich mit Robert Filiou und Fluxus Brüder im Geiste.

Image Bank inspirierte sich unter anderem an William Borroughs' cut up Technik und im Gegenzug unterstützte der Autor Vincent Trasov, als der 1974 zur Wahl von Vancouvers Bürgermeister antrat – in seiner Rolle als Mr Peanuts (Herr Erdnuß), eine das Kunstprojekt präexistierende Werbefigur, in Photos, Videos und Performances zu dadaistischem Leben erweckt (dazu erfand man das Akronym „Performance – Elegance – Art – Nonsense – Uniqueness - Talent“ – es steht zu bezweifeln, daß sich die ca. 30 Jahre später gegründete deutsche Titanic-„Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative" Trasov bewußt zum Vorbild nahm). Mr Peanuts erreichte ein respektables Ergebnis von 3,4% der Wählerstimmen und war obendrein eines der erinnerungswürdigsten Projekte im Kontext von Image Bank. In dieser KW-Ausstellung tritt er noch in einer Installation im Nebenraum auf, bestehend aus bunten Lichtern, spacigen Objekten und einem Film mit nackten Menschen, die sich mit Sonnenstrahlen und Spiegel „bemalen“. „Groovy“ mag hier das passendste Urteil lauten. Jene frivolen Malspielchen finden wir noch in mancher Photographie wieder. Vieles jedoch hält dem Test der Zeit nicht stand. Eventuell fehlt auch nur dieser gewisse Seventies Spirit, anarchischer Spaß und ernsthaftere Revolte, die Lust und der Wahn, neue Wege in allem auszuprobieren. Das Aushändigen psychoaktiver Substanzen an Besucher des KW, würde wohl nicht viel helfen, zu trocken erscheint die dominierende Dokumentensammlung.

Anna Daučíková, 7. Juni-18. August

Heike-Karin Föll, speed, 22. Juni-1. September

Image Bank, 22. Juni-1. September

World of Arts Magazine - Contemporary Art Criticism


 


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