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  • Christian Hain

Potsdam oder Paris, Hauptsache Plattner!


(Potsdam.) Das Barberini lud und alle kamen. Lange hat die hiesige Kunstwelt keine so gut besuchte Pressekonferenz mehr gesehen, so gut besucht, daß sogar - WUUUHAA! Was, wie bitte? Nein, Entschuldigung: nicht „Wuhan“, nur geniest, muß doch auch mal sein... - jedenfalls kam die ganze Korona zur Präsentation, und das übliche Frühstücksbuffet – PKs am Barberini sind immer etwas besser besucht als andere – mußte aus dem Auditorium in den Flur ausweichen. Aber wie könnte es auch anders sein im Fall einer neuen, großen, Monet-Ausstellung?

Der französische Impressionist ist Mitglied eines höchstexklusiven Zirkels von Großkünstlern, jener Business Class der Kunst, der auch van Gogh, Dali, Picasso und Warhol angehören, sonst aber kaum jemand; die Kenner und Massen zugleich anziehen, zum einen dank ihres Genies, das sich selbst den kunstfernsten Bevölkerungsschichten erschließt, andererseits weil genau das ein jeder weiß und sie einfach kennen „muß“. Auch tatsächlich kennt, von Postern, TV-Dokus und pflichtschuldig durchgestandenen Museumsbesuchen im Familienurlaub. Eine neue, gar riesige, Monet-Ausstellung in nicht-Berlin-sondern-Potsdam, darüber will man informiert sein! Mag sich sogar zu einem Besuch entschließen, und nicht nur wer für die kommenden Monate bereits eine Reise in die Region geplant hat – in Potsdam könnten die Parkplätze knapp werden!

Die Gelegenheit ließ sich auch der Boß nicht entgehen: Hasso Plattner persönlich (ein bißchen peinlich ist es schon, wenn ihn die hauseigene Kommunikationsabteilung grundsätzlich als „Prof. Dr.“ vorstellt, dabei aber ebenso grundsätzlich das „hc“ wegläßt, oder nicht?), Kunstsammler und generöser Stifter/Eigner/Mäzen des Museums Barberini (sowie des US-amerikanischen Eishockeyteams der San Jose Sharks, Kalifornien zählt neben Potsdam unter seine bevorzugten Residenzen). Wie als bekannt vorausgesetzt werden kann, verdankt er all dies und (oh so viel) mehr seinem Status als Mitgründer der SAP AG, für deren Aufstieg zum „Buchhalter der Weltwirtschaft“ er als langjähriger Vorstandsvorsitzender hauptverantwortlich zeichnet. In Kunst und Eishockey geht man im übrigen höflicher mit den Gönnern um als im Fußball, wie ihm sein Kollege Dietmar Hu- nein: Hopp! bestätigen wird.

Herr Plattner ist ein humorvoller, sympathischer, Zeitgenosse oder gibt sich als Medienprofi zumindest so, er wirkt so gütig und entspannt, wie man sich das mit einem an den addierten Gesamtwert aller Werke der oben genannten Künstler heranreichenden, wenn nicht diesen übersteigenden, persönlichen Vermögen auch leisten kann.

Bevor wir auf die Ausstellung zu sprechen kommen, verweilen wir doch noch ein wenig länger in der Welt des Herrn Plattner, da ist es so gemütlich, ein wenig Klatsch und Tratsch und O-Töne aus der Welt der Reichen und Sammler ist doch auch nicht ohne Interesse. Der Pate Potsdams – dürfen wir ihn so nennen? - verurteilt entschieden jedes „Zerfleddern“ mühsam zusammengetragener Sammlungen in Nachlaßauktionen, hier sollte man nicht zu sehr ins Detail gehen und sich fragen, wie und mit welchen Quellen er denn in Absenz jener gehandelt hätte – und geht auch gerne noch einmal auf sein Engagement in der brandenburgischen Landeshauptstadt ein, und seinen Stolz, diesen historischen Stadtpalast ganz originalgetreu wiederaufgebaut zu haben, aus Ruinen. Besonderen Wert legt er dabei darauf, in jedem Punkt der Fassade die gleichen (logischerweise nicht „selben“) Materialien wie im Originalbau verwendet zu haben – „copy and paste“ (nicht seine Worte). Erteilt dann mit kaum weniger Enthusiasmus Auskunft über seine Aktivitäten auf dem Kunstmarkt, da kamen im vergangenen Jahr Gerüchte auf, „ein zu einem neuen Rekordpreis versteigerter Monet sei nach Deutschland gegangen, und mehr noch, daß ich ihn ersteigert hätte - was falsch ist! ... ... ... Es war die Hasso Plattner Stiftung.“ (Meules, 1890, 111 Mio. €, Mai 2019 bei Sotheby’s London – das sind die harten Fakten von der Art, wie man sie auch einem Kunst und Kultur sehr fernstehenden Volk wie dem deutschen verkaufen kann). Teil einer Serie von Heuhaufen-Portraits - am Barberini bevorzugt man den weniger profan klingenden Ausdruck “Getreideschober” -, aus der sich noch zwei weitere in der Sammlung befinden, ist das kein Schlüsselwerk des Künstlers und, man möge mir die persönliche Anmerkung verzeihen, der Schreiber dieser Zeilen hätte nicht ein Zehntel des aufgerufenen Preises dafür hingelegt (wenn nur Eurojackpot sich endlich ein wenig Mühe geben würde...), aber das ist eben nur eine Privatmeinung ausmitten des Lumpenproletariats. Das Gemälde ist „ok“, und mehr noch, ein typischer und damit: brillanter, Monet, scheint aber auch nicht sonderlich aus dem Gesamtœuvre hervorzustechen, da gibt es auffälligere, gefühlt Milliarden werte, auch heute am Barberini! Bedenkt man aber wiederum, daß ein gutes Viertel der 130 ausgestellten Werke sich im Besitz desselben Sammlers – oder seiner Stiftung - befinden, also auch jene vermeintlich (noch) großartigeren Werke und da immer noch soviel Geld übrig ist, relativiert sich der Vorgang gehörig. Ertappt unsereins sich nicht manchmal dabei, im Supermarkt seit zehn Minuten ratlos vor dem Kühlregal zu verharren, Buridans Esel gleich unfähig, eine Entscheidung zwischen Bio-Marken- und Discountjoghurt zu treffen? Normal ist es dann, mit einem Schulterzucken weiterzugehen, „sind doch nur zwanzig Cent!“ Genauso, oder ähnlich, muß Herr Plattner empfunden haben, als der aufgerufene Preis bei jener Auktion, der er persönlich, d.h. fernmündlich beiwohnte - soviel zu „die Stiftung war’s“ –, das zuvor selbstgesteckte Limit um ein paar popelige zig Milliönchen überschritt. Ein maßgeblicher Kaufreflex war nach eigener Aussage auch die Tatsache, daß das Bild „sonst nach China gegangen wäre“ und das galt es zu verhindern, um jeden Preis. Das Land der Mitte ist ihm ein rotes Tuch – sollte sein Name etwa nicht in der Mitgliederliste des Berliner China Clubs auftauchen?! -, wie gleich noch eine weitere, die vorletzte Anekdote des Tages belegt: Angesprochen auf die Existenz, ähem, hüstel-hüstel, jetzt wird’s vulgär: „gefälschter“ Monets, potentiell selbst in bedeutenden Sammlungen, wußte er ganz unverlegen von einer Jahre zurückliegenden Begebenheit zu berichten (ließ das betreffende Werk im übrigen unidentifiziert): Nach der Publikation eines Auktionsresultats erreichte das Haus damals ein Anruf aus Texas, den wir uns im Wortlaut wohl ungefähr so vorzustellen haben: „Howdy Partners, das Ding, das Ihr da grad verkloppt habt, hängt seit Jahren bei mir über'm Kamin, zwischen Stetson und Winchester!“ Keine Expertise vermochte zwischen Original und - weniger Original zu unterscheiden, erst eine Radiokarbonanalyse der Pigmente ergab ein signifikant späteres Entstehungsdatum für die „Version“ in Plattnerschem Besitz. Da zeigt man sich natürlich kulant, flucht höchstens insgeheim über artprice, artnet und Konsorten und überweist das Geld – hoffentlich gut verzinst – zurück, legt vielleicht noch einen Gutschein für die Cafeteria obendrauf. Der somit nicht finanziell, sondern „nur“ emotional Leidtragende ist überzeugt, der „Nicht-Monet“ stammte daher, „wo auch die besten Chips herkommen – China also“. Jetzt hätte ich fast schon wieder niesen müssen. Das Fälschen eines Gemäldes ist zweifelsohne verwerflich, und wird im allgemeinen auch so empfunden, nur muß die Frage erlaubt sein: Warum werden für das Fälschen historischer Gebäude, von Villen zu Stadtschlössern und ganzen Altstädten, eigentlich andere moralische Maßstäbe angelegt?

Themenwechsel: Das bereits angesprochene Viertel der Ausstellung wird auch nach deren Ende und auf unbestimmte Zeit am Barberini verbleiben, zusammen mit Werken anderer Impressionisten als Dauerleihgabe den Weg in die ständige Sammlung finden und damit, wie der Spender bedauernd feststellt, weiße Stellen an den Wänden seiner Wohnzimmer (Plural!) zurücklassen. Neben allfälligen Neuerwerbungen sollen jene bald mit digitalphotographischen Scans (der in jedem Tech-Unternehmer steckende Nerd schwärmt da von der Megapixelzahl) gefüllt werden. Zu diesen bestünde aber „weniger emotionale Verbundenheit“, zudem seien sie beim Nähertreten oder Berühren auch schnell als das entlarvt, was sie sind.

Die „Heuhaufen“ konnten noch nicht in Denver gezeigt werden, wo die Ausstellung von vergangenem Oktober bis in diesen Februar zuerst stattfand – eine dritte Aufführung ist nicht geplant. Bei allem Interesse für Zahlenwerte handelt es sich bei ihnen aber nur um die Kirsche auf einem ohnehin schon opulenten Kuchen, genauer gesagt der umfangreichsten Monet-Werkschau nicht bloß der vergangenen Jahre in Deutschland, sondern überhaupt jemals außerhalb von Paris. Nun entscheidet in der Kunst nicht die Größe allein und selbst nach einem Besuch des Barberini dieser Tage, und um sich einen möglichst kompletten Eindruck von des Meisters Œuvre zu verschaffen, sollte niemand auf einen Besuch der Nymphéas in der Orangerie und der Sammlung des Musée Marmottan-Monet verzichten – könnte sich aber durchaus die Wartschlangen am Orsay ersparen. Da wir das Marmottan schon einmal erwähnt haben: Das ist tatsächlich ein Detail, das diese Ausstellung von der bislang letzten großen auf Pariser Boden, am Grand Palais 2010, abhebt: Nach einer amüsanten Seifenoper der Kunst, in der so manch böses Wort fiel, verweigerte die Institution, die ihre Schätze dem Erbe des Künstlersohns verdankt, damals jegliche Leihe. Als Herr Plattner (s Untergebene) jetzt anfragten, war man aber sogleich willens und schickte eine Handvoll Werke outre-Rhîne, darunter zwei sehr abstrakte Pont japonais.

In der Planung einer jeden Ausstellung ist irgendwann der Punkt erreicht, da sich die Frage stellt: „Und wie soll das Kind nun heißen?” Am Barberini entschied man sich, den Besucher hier nicht zu überfordern – letztendlich geht es ja nicht um neue Einsichten und revolutionäre Schlußfolgerungen, sondern darum, eine über Jahre mit viel Engagement zusammengetragene Sammlung im Licht der Öffentlichkeit zu sonnen, unter Betonung ihrer Relevanz auch und gerade im internationalen Kontext (damit jetzt keine Mißverständnisse aufkommen: das ist überhaupt nicht verwerflich!). Mithin entschied man sich für Orte. Das ist nicht falsch, sogar ganz passend, wie Faust auf Auge und Nagel in Wand. Nur auch in etwa so kreativ, wie eine Warhol-Ausstellung „Pop“ zu nennen, oder eine zu van Gogh „Schlitzohr“. Denn darum ging es beim Impressionismus ja überhaupt: Die Eindrücke eines Ortes (zu einem gegebenen Zeitpunkt) in ein vor Ort entstandenes Werk zu bannen. Wenigstens löst Orte en passant gleich noch ein anderes Problem, das der Aufteilung in verschiedene Kapitel und Räume nämlich - das Inhaltsverzeichnis dieser Ausstellung schreibt sich von selbst. Normandie, Giverny, London, Paris, das Mittelmeer, Eisenbahnen – Moment, wie bitte? hier wird der Titel gedehnt, da ist es einmal nicht um einen spezifischen Ort zu tun, sondern eine Epoche des technologischen Fortschritts, finden wir neben einem Gemälde von Hand des Meisters Lehrmeister, Eugène Boudin, einen Überblick über die Entwicklung des französischen Eisenbahnnetzes zu Monets Lebzeiten. Nicht jedoch die bekannten Bahnhofsszenen, sie bleiben den respektiven Städten, also London und Paris, vorbehalten.

Ebensowenig ortsspezifisch im engeren Sinn ist das Schneekapitel, es weiß dennoch mit tiefgefrorenen Ansichten zu verzaubern. Hier wollen wir ein wenig durch das Eis brechen und tiefer eintauchen: Monet ist kaum für seine weißen Winterszenen bekannt, ganz anders als etwa der „weiße Impressionist“ Alfred Sisley und wo dessen Werke stets den Eindruck kalter Verlassenheit ausatmen, bewahren die Monets einen Hauch des sonnigen Gemüts seiner Szenen aus wärmeren Zeiten. Monets Winter ist gemütlicher, von irgendwo her verspricht da immer eine den eisigen Gewalten trotzende menschliche Behausung Schutz und Unterschlupf, prasselndes Kaminfeuer und glühenden Grog (oder Kakao) – Monet ist Winter mit Pudelmütze. Subjektiv? Genau, subjektive Eindrücke. Da liegt so viel Subjektivität im Impressionismus, der eben nicht ungefilterte, „objektive“, und rein visuelle, Eindrücke auf die Leinwand kopierte, dies gar nicht tun konnte, mußten sie doch immer erst einen menschlichen Geist passieren, jemandes der seinen Standort bewußt gewählt hatte.

Auch wenn die Ausstellung nichts neues erzählen kann, lädt die achronologische Präsentation zum Ziehen eigener Schlüsse ein. Zuweilen kehrte Monet zu unterschiedlichen Zeitpunkten an dieselben Orte zurück und ermöglicht so heute Quervergleiche innerhalb seines Gesamtwerkes. Die Normandie und der Wald von Fontainebleau waren die bevorzugten Arbeitsplätze des jungen Malers, hier sehen wir u.a. das frühestdatierte uns überkommene Werk: Vue prise à Rouelles, 1858. Auch die ländlichen Szenen der 1860er Jahre wirken noch sehr konventionell, strikt von einen Blick handelnd, beschränkt auf das visuelle, dabei Atmosphäre und Stimmung, die doch auch einen nicht unwesentlichen Teil des Eindrucks ausmachen, auslassend. Zwar für sich beeindruckende Werke, die viel versprachen, aber eben noch nicht einlösten - und doch, in Kenntnis des Künstlers merkt der Betrachter da manchmal auf, registriert Heuhaufen schon 1865 (Meules près de Chailly) und kündigt dieser Chemin sous les bois, ebenfalls 1865, nicht viel spätere Meisterwerke aus Giverny an, namentlich den Chemin de Roses in all seinen Varianten? Immer noch 1865, gilt eine Szene aus dem Forêt de Fontainebleau als bewußte Auseinandersetzung mit der damals neuen Photographie und um eine Ehrenrettung der Malerei, deren Ziel es noch war, mindestens ebenso „exakt“ zu sein (Kunstgeschichtsstudenten mögen jetzt von der „Aura“ zitieren). Von Beginn an jedoch legte Monet viel Wert auf geographische Korrektheit, durch seine gesamte Karriere hindurch lassen sich gemalte und Malorte im „wahren“ Leben wiederfinden.

Noch bis in die Siebziger Jahre hinein war Claude nicht Monet™, siehe auch eine Pont neuf von 1871. Der große Durchbruch ließ aber nicht mehr lange auf sich warten: Impression. Soleil levant, jenes Werk, daß der Bewegung (unfreiwillig) zu ihrem Namen verhalf, datiert von (ca.) 1872 (das verläßt natürlich nie seine Pariser Heimat - Sieht man aber genau hin, vermittelt die Sonne oft einen ähnlichen Eindruck, zum Beispiel in Étretat, soleil couchant, 1883). Mit einemmal, oder auch nicht so plötzlich, sondern durch viele Pinselstriche parallel vorbereitet, nahm der Impressionismus die Bühne. Und natürlich enttäuscht das Barberini den wahren Fan nicht!

Wir reisen mit Monet durch ganz Gallien und darüber hinaus, nach Holland, Norwegen und London (nur nebenbei: Der Wandtext „The Colors(sic!) of London“ liest sich doch seltsam, hat man – wie Monet selber - einst nicht American sondern British English gelernt), hier finden sich dann auch die Bahnhöfe und –brücken, Charing Cross, Waterloo, Saint-Lazare in Paris. Schließlich Italien. Venedig ergab sich dem Maler nicht ohne Widerstand, es scheint fast unmöglich, in seinem Palazzo Ducale nicht Spuren Caravaggios zu entdecken, und das liegt nicht oder nicht nur an eingefahrenen Sehgewohnheiten. (Noch einmal ganz nebenbei: Wäre es nicht amüsant gewesen, hier irgendwo den Palazzo Grassi zu sehen? Auch Großkunstsammler stehen in Konkurrenz zueinander.) Andere venezianische Szenen wirken „typischer Monet“, wiewohl Rio della Salute, 1908, noch einmal mit ungewohnt schrillen Farben überrascht. Und dann ziehen wir den Vergleich zu anderen Größen, à propos „schrille Neonfarben“: ein Champ de blé von 1881 schreit in Himmel und gewundenen Bäumen doch lauthals „van Gogh!“ – darf das aber gar nicht tun, entstanden dessen Ausbrüche doch erst ein Jahrzehnt später! Und möchte man nicht L’eglise de Vétheuil (1878) für einen Höhepunkt in Maurice Utrillos Schaffen halten - der zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht geboren war?! Sicherer ist es, Verwandtschaften zu anderen Impressionisten zu suchen, sich etwa zu fragen, ob die wollüstigen Rosen im Coin de jardin à Mongeron (1876) nicht besser zur Signatur Renoirs gepaßt hätten?


Noch einmal zurück in den Süden, an die Riviera, und Antibes sah nie so nordafrikanisch aus, weiß wie Algiers la ville blanche unter der Wüstensonne. Dann Bordighera, und vielleicht zum ersten Mal realisiert der Betrachter die eigentliche Leere dieser Landschaften, da kreucht und fleucht kein Tier und erst recht kein menschliches. Das ist eine postmenschliche Welt, aus der jede Bewegung verbannt wurde, in der Gebäude nurmehr andere Erscheinungsformen der Natur sind, Blüten und Flüssen gleiche Phänomene. In grauweißer Vermassung wie hier verheißen sie nicht einmal mehr Schutz und Obdach, scheinen ganz bar und losgelöst von jedem praktisch humanen Zweck. Anders der Eindruck, den etwa La maison du douanier, 1882, Oies dans le ruisseau (1874) oder noch das zumindest altindustriell geprägte Rivière et moulin près de Giverny (1885) lassen. Solange sie als ein Detail der Natur erscheint, nicht aber die Hauptsache ist, wird die armseligste Hütte zum Hort der Menschlichkeit, sich in harmonischem Widerstand mit der umgebenden Natur behauptend. Irgendwo zwischen den Extremen stehen dann die Maisons sur le vieux pont de Vernon (1883, einst waren die Pariser Bücken genauso bebaut, bevor Haussmann kam und sprach: „Da muß Ordnung rin!“), eingewachsen in die Natur, Teil und doch getrennt. Am Strand wartet die Auflösung des Individuums zu diffuser Masse in See und Sonne: Marée basse aux Petites-Dalles (1884), oder ebenso gesichtslos der übermannshohen Brandung ins Gesicht sehend, womöglich in Kontemplation des einen, letzten, Schritts: Plage de Fécamp (1881). Der bleibende Eindruck handelt von der Unterlegenheit und Nichtswürdigkeit des Menschen, selbst und besonders ausgedrückt in Szenen erhabener Schönheit und Ruhe: All jene Morgen an der Seine, wie wir unseren „Père Claude“ kennen und lieben. Selbst noch, wo diese Schönheit mit menschlichen Instrumenten, oder durch den Menschen als Instrument, geschaffen wurde: Der Landschaftsgarten in Giverny. Auch hier sind die blühenden Landschaften ganz entvölkert, nur zu Ende der Ausstellung finden wir den genius loci selber dokumentiert in zeitgenössischen Filmaufnahmen seines irdischen Paradieses.

Monet, Orte, 22. Februar-1. Juni 2020, Museum Barberini

World of Arts Magazine - Contemporary Art Criticism

P.S.: Wenn Sie sich gleich mir einen Platz in Ihrem Herzen für Kreativität und Geschäftstüchtigkeit der Museumshops dieser Welt bewahrt haben, freuen Sie sich: Am Barberini bietet man nicht bloß Bouquets von Strohblumen feil, sondern gleich noch Socken mit aufgedruckten Meisterwerken dazu (die bei längerem Tragen in unbelüfteten Turnschuhen hoffentlich nicht zerfließen - selbst wenn es sich um Seerosen handelt).


 


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