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  • Christian Hain

Flotter Dreier mit Pilzen, Sofas und Robotern am KW


(Berlin.) Willkommen zu drei neuen Ausstellungen mit den Arbeiten (noch, relativ,) junger Künstler im KW. Im Erdgeschoß fällt der erste Blick auf einen plüschigen Baumwollsessel/Thron/Panzer mit Keramikelementen. An Feuerwerkskörper oder Kabelbinder erinnernde Baumwollstreifen - zur Fixierung nichtsahnender Besucher? in einem angedeuteten elektrischen Stuhl? - treffen auf birnenförmige Objekte nicht ungleich historischen Handgranaten. Aus anderen Blickwinkeln finden sich Andeutungen von Reichs- und Augäpfeln oder Schneckenhäusern, während das Kopfteil eindeutig einen Abakus darstellt (oder Fridas Rückgrat?). Die Form eines abgelegten Overalls aus getrockneter weißer Farbe belegt deutsches-Handtuch-am-Pool-von-Malle-gleich eine Chaiselongue, während weitere Sitz-und Liegegelegenheiten sich um drei Röhrenfernseher gruppiert finden. Dies ist keine Möbelausstellung, noch etwa eine Fortsetzung der mit Trix und Robert Haussmann begonnenen Reihe, sondern Tamara Henderson, die es Besucher erlaubt – sie gar ermutigt -, sich niederzulassen um dem Geschehen auf den Bildschirmen zu folgen. Aus zugehörigen Kopfhörern schallt die Stimme des „Hypnotiseurs“ Marcos Lutyens, aus unbekannten Gründen verschweigt uns das KW aber seinen Zweitjob als - dOCUMENTA-erprobter - Künstler (vertreten von einer kleinen aber feinen Galerie mit Sitz in Paris und Venedig).

Dies wirkt alles ein wenig wie ein künstlerischer Spielplatz für groß und klein, von erster zu zweiter Kindheit, Schaukelpferd zu –stuhl: Auf den richtigen Schwung kommt es an. Die bunte Beleuchtung mag an einen homosexuellen Nachtclub erinnern, oder wie man sich einen solchen vorstellt.

Das offizielle Leitmotiv lautet „Verdauung“; Töne, Dinge, Bilder, Konzepte absorbiert und ausgeschieden von der Künstlerin Körper und Geist. Womit auch die tatsächlich beabsichtigte Assoziation jener Fladen im Stuhl geklärt wäre. Im ganzen natürlich weniger beeindruckend als Wim Delvoyes Cloaca Maschine (von Piero Manzoni ganz zu schweigen), aber wie erwähnt steht Tamara Henderson noch am Beginn ihrer Karriere. Es mag sehr unfair klingen, ist aber nur gut gemeint, wenn ich sage, in Zukunft sei noch viel mehr Sch— von ihr zu erwarten.

Weitere Inspiration zog die Künstlerin aus ihrer eigenen Schwangerschaft. Jener achtbeinige Stuhl zitiert nicht ohne Grund Louise Bourgeois! Die Verschmelzung beider Themenbereiche zu einer Ausstellung erscheint, gelinde gesagt, gewagt. Beste Voraussetzungen für eine glückliche Kindheit sollte man einen; hat sie es Hank genannt? (Nebenbei: Ich mag die klassische männliche Antwort auf die Frage nach persönlicher Anwesenheit bei der Geburt des Kindes: „Meine Frau und ich, wir essen gemeinsam, aber wir besuchen die Toilette getrennt“, ehrlich!) Die offizielle Interpretation geht natürlich noch weiter, ist weitaus umfänglicher, komplizierter und vor allem: prätentiöser, aber das ist dann wirklich sch...

Eine Treppe hoch und in die Sauna, atmen nehmen Sie tief durch und fühlen Sie sich zurückversetzt in die Kindheit, ganz Proustisch, ja so war es: Actionfiguren made in China. (Bitte? Sie bekamen Ihr erstes iPad mit vier, und haben nie mit anderem gespielt? Das könnte weitaus schlimmer sein als jede Identifikation mit Fäkalien mütterlicherseits. Aber unboxing Videos auf YouTube sind auch interessant.)

KW sorgt hier für schlechte Luft, heiß und feucht, um eine ganz spezielle Pilzsorte zu züchten – und das nicht zum Vergnügen. Obwohl: KW Chef Krist Gruithuijsen persönlich erwähnte ein geplantes kulinarisches Happening mit Freunden und Bekannten nach Ende der Ausstellung. Die einzig (vorhersehbaren) Effekte bestehen dabei in eher langweiliger Gesundheitsvorsorge. Die Pilze finden u.a. Verwendung in jener berüchtigten „traditionellen chinesischen Medizin“, doch oh Wunder: Ihre Kultivierung involviert nicht die Folterung oder Tötung von Nashörnern, Katzen, Hunden, weißen Tigern oder politischen Gefangenen. Auf der anderen Seite helfen sie auch nicht bei „männlichen Funktionsproblemen“ (erinnert mich gerade an jene letzten, unbeugsamen, Raucher, die begierig Impotenz- gegen Krebsschachtelbilder tauschen; man muß immer Prioritäten setzen).

Kennen Sie die Geschichte eines chinesischen Farmers, die vor einigen Jahren durch das Internet geisterte? Ein auf seinem Feld entdecktes Objekt hielt er für eine seltene Pilzgattung, das Lokalfernsehen berichtete ausgiebig, bis ein Zuschauer endlich aufklärte: Es handelte sich tatsächlich um ein nach erwiesenen Diensten skrupellos ausgesetztes Sexspielzeug. Das täte hier eigentlich nichts zur Sache, ließe sich nicht ein unvermuteter Zusammenhang mit der dritten Ausstellung im Hause entdecken (nur noch ein wenig Geduld!). Im KW - und hoffentlich nicht auch in der angeschlossenen Pogo Bar - wachsen die Pilze in Kühlschranken mit Glasfront, und Steve Bishop verbindet sie konzeptuell mit einer Geisterstadt in seiner kanadischen Heimat. Hinter Plastikvorhängen, die für das Raumklima (mit)verantwortlich zeichnen, finden sich Kopien von Gemälden, die dort die Wände verlassener Bauten zieren und unter Pilzschichten langsam verrotten. Ein Film zeigt Originalaufnahmen aus Büros, Privat- und Krankenhäusern, I am Legend ohne Will Smith oder The Walking Dead ohne Zombies, Rick und seine Bande. Dafür macht ein Hausmeister noch pflichtbewußt seine Runden und sorgt für Ordnung in der Verwesung. Das Schlagwort hier lautet Bewahrung: Pilze als Schimmel, Pilze als (vermutlich) lebensverlängernde Medizin.

Hinter dem letzten Duschvorhang am Ende des Korridors wird die Luft besser, fast schon atembar, und Reihen ausgewachsener Pilze säumen die Böden eines Regals, das die Ausstellung bedeutet während eine Rauschmaschine in Form eines alten Küchenofens weiter Dampf macht. Sie sehen aus wie Schaumstoff und ertasten sich wie Hartplastik.

Die Treibhausatmosphäre könnte auf den Klimawandel anspielen, aber auch nur weil das schließlich zeitgenössische Kunst ist.

Im zweiten Stock möchte die Dänin Sidsel Meineche Hansen ihre Faszination für Sexrobotern mit uns teilen. Ach ja, Dänemark... Ein Film dokumentiert Einrichtung und Reinigungsarbeiten in einem amerikanischen (wo sonst?) „Sexroboterbordell“. Wie bei den meisten Startup gilt wohl auch hier: „Niemand braucht Kunden, gibt es nur genug Investoren mit ‚Phantasie’.“ Trotzdem eher keine gute Idee für die Höhle der Löwen.

Daneben liegt lasziv der hölzerne Prototyp eine interaktiven – doch hoffentlich nicht artifiziell oder sonstwie intelligenzbegabten! - Gespielin. In seinen späteren Jahren wandte sich Meister Geppetto mehr persönlichen Projekten zu.

Anmerkung: Im Gegensatz zu den Sitzgelegenheiten unten ist es nicht gestattet, Objekte hier auf ihre Funktionsweise zu testen. Dafür wird uns eine Performance versprochen. Potentiell in der lobenswerten Tradition von Performances in der zeitgenössischen Kunst stehend: Ohne Blut und Brüste ist es nicht kunstgeschichtswürdig.

Eine mannshohe Plane in der Mitte des Raumes zeigt eine Loch mit ein bißchen was drum, i.e. Zähne (Teeth?).Dazu kommen noch Zeichnungen, die wohl auch irgendwie mit dem Thema in Verbindung stehen. Erwarten Sie aber keine tiefschürfenden Reflektionen über männliche Selbstverteidigung in Zeiten totaler weiblicher Dominanz über die Sphäre des Sexuellen.

Steve Bishop, Deliquescing;

Sidsel Meineche Hansen, Real Doll Theatre;

Tamara Henderson, Womb Life;

3. November 2018 – 6. Januar 2019, KW

World of Arts Magazine – Zeitgenössische Kunstkritik


 


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