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  • Christian Hain

Emil und die Na-Sie wissen schon... Der Lenz ist da.


(Berlin.) Man vergißt es dieser Tage ja leicht unter dem Eindruck einer sinnzersetzenden Inflation des Begriffs, die letztenendes nur seine Verwässerung und Verharmlosung zur Folge haben kann, aber: Es gab tatsächlich einmal Nationalsozialisten*innen (männlich/weiblich/dinglich), oder kurz: "Nazis".

Von 1933 bis 1945 das Deutsche Reich regierend, zeichneten sie für den mörderischsten sich zum Selbstzweck dienenden Genozid der Menschheitsgeschichte verantwortlich und heute, fast fünfundsiebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges und knapp dreißig Jahre nach Formulierung von Godwin’s Law ("As an online discussion grows longer, the probability of a comparison involving Nazis or Hitler approaches 1"), sind die „Nazis“, oder auch „NAZIS!!1!“ - mit viel Schaum vor’m Mund gesprochen und getippt - immer noch und mehr präsent, national wie international. Der Fortschritt vereinfacht das Leben, fürwahr, man muß nur mit der Zeit gehen, digital denken, ist damit praktisch schon aufgewachsen und weiß: Es gibt nur „0“ und „1“, gut oder böse, uns und die anderen – und die anderen, das sind „Nazis“. Die dezidiert moderne Begriffsverwirrung läßt keinen Platz für Zwischentöne, da ist alles eins, alles „gleich“, im guten wie im bösen.

„Nazi“ ist zum ebenso weitfassenden wie praktischen Begriff geworden. Da weiß man, man gehört selbst zu den „Guten“, ist sich der Mission seiner Füh- seiner guten Vorbilder bewußt, hetzt und gröhlt in jeder Diskussion nicht nur in den antisozialen Medien mit „NAZI!!1!“, kennt und fühlt die Antwort auf jede Frage und jedes politisch-gesellschaftliche Thema. Dann „steht man auf“, aufrecht „gegen ‚Rechts’“ zu demonstrieren und faßt darin nicht nur implizit sondern ganz dumpf-bewußt alles zusammen, querbeet durch die Jahrzehnte und Weltanschauungen, von Adolf, Adenauer und AfD zu CSU und NPD, von Springer, Henkel, Wendt und Broder zu Spengler, Dahrendorf und Weber: alle „Rassisten“, „Faschisten“, Nationalisten, Chauvinisten, Patrioten, Konservative, Liberale, alles „Miso-phob-isten“, „NAZIS!!1!“, das „rechte Pack“, das man– nun, Menschen, die ein Problem darstellen, das endlich und –gültig einmal gelöst werden müßte. Meinungen sind auszumerzen und jene, die sie äußern, jeder Debatte unwürdig (man hätte selbstverständlich die besseren Argumente, ließe man sich denn nur dazu herab, auf „Hetze“ zu antworten; tut man aber nicht). Mit derlei undifferenziertem Gedankengut schafft man es in Redaktionsräume, auf Regierungsbänke und Lehrstühle, denn man ist viele.

Welcher westalliierte Soldat hätte schon geahnt, daß er als Repräsentant "rassistischer Imperien" nicht weniger „NAZI!!1!“ war als die Wehrmachtler auf der anderen Seite der Front? Geschichte erklärt sich immer am besten aus dem Rückspiegel.

Nähme man die Krakeeler einmal ernst, müßte man fast schon annehmen, die Nazis, also Adi H. (jaja, den Vornamen schreibt man jetzt so, frag nach bei österreichischen Fußballtrainern; nur seltsamerweise werden andere Namen und Worte, von Joseph bis... nun, die ganze deutsche Sprache noch verwendet, obgleich auch sie einmal Nazis nutzten; man muß schon sein Heil in Ironie suchen, nicht zu verzweifeln) und Schergen seien gar keine „NAZIS!!1!“ gewesen. Ganz genau: lesen Sie einmal nach, da fiel kein böses Wort. Man vernichtete „Juden“, ganz schlicht. Sprachlich durchaus pc, gar Grünen-kompatibel, die NSDAP. Wie es womöglich auch in anderen Beispielen von Genoziden - in kleinerem und weniger organisiertem Maßstab - der Fall war; als vormalige Jugoslawen einander schlachteten wie Hutus und Tutsis, waren sie da unbedingt auf schlimme Worte angewiesen? Und ist es nicht erstaunlich, daß wir trotz des Holocausts noch „Juden“ sagen dürfen, während Sie auf der anderen Seite ganz eindeutig eine Mitschuld tragen, sollten Sie demnächst einem Lynchmob zum Opfer fallen, weil Sie im Supermarkt nach den Negerküssen gefragt haben? „Rassismus“ in seiner gängigen Falsch- bzw. der kompletten Ignoranz überhaupt jedweder Definition gilt als notwendig und hinreichend für Vorwurf und Nachweis einer nationalsozialistischen Gesinnung.

Wen interessiert es da noch, daß der Nationalsozialismus ein ganz eigenes Phänomen war, singulär in seiner Erhebung des Massenmords zum Selbstzweck, als tragende Säule seiner selbst – genau hier liegt der Hauptunterschied zum Kommunismus Stalins, der rein nach Opferzahlen bewertet noch mörderischer war, dabei aber seine Taten nicht um ihrer selbst Willen, sondern in Verfolgung angenommener höherer Zwecke verübte. Vielleicht ist es aber nicht ganz so simpel, mit dem Dualismus und den Synonymen, betrachten wir nur ein Beispiel: Obschon der Nationalsozialismus auf dem Faschismus aufbaute, blieben Italien und Spanien bis lange in den Zweiten Weltkrieg noch vom Holocaust weitgehend verschont, weder Mussolini noch Franco teilten der Deutschen - und so mancher Bevölkerungsteile des von Ihnen unterworfenen Osteuropas - Fanatismus in dieser Hinsicht, zeigten sich wenig erpicht, entsprechenden „Ermunterungen“ nachzukommen, womit keineswegs gesagt sein soll, Systemgegner hätten dort nicht unter brutalen, den Staat über alles setzenden, Diktaturen gelitten: Der real existierende Faschismus läßt sich am besten mit dem real existierenden Sozialismus vergleichen und sowenig ersterer die schlimmsten Abgründe des Nationalsozialismus teilte, sowenig tat letzterer dies mit Stalins Kommunismus. Wer würde auch schon Grünenwähler und SPD-Mitglieder pauschal als „Stalinisten“ verunglimpfen (mal abgesehen davon, daß die Beleidigung als Sprechakt am mangelnden Ein-/Verständnis der Angesprochenen scheitern müßte), derweil die Rechtsnachfolgerin der SED in Rathäusern und Parlamenten sitzt und kürzlich erst zur Europawahl wieder Berlin mit Plakaten zumauerte, deren ewiggestrige Slogans noch von Walther Ulbricht persönlich verfaßt sein mögen; aber wenn zwei das gleiche tun, ist es noch lange nicht dasselbe? Könnten wir uns zur Not darauf einigen, Nazis verhielten sich zu Rechten wie Islamisten zu Mohammedanern? Aber versuchen Sie einmal, das Journalisten und Kita-Dressi- Erzieherinnen klarzumachen...

Gleichheit überall, im guten wie im bösen. Das ist Vielfalt: eine wie der andere, alle gleich. Nur eine Meinung ist richtig, alle anderen verbrecherisch, das ist Pluralismus (oder die Marketingversionen beider).

Mehr Ehrlichkeit - die leider auch ein Mehr an Bildung und Geist erforderte, woran der Appel scheitern mag - könnte der Sache nur nutzen, wenn aber jeder Konservative sich gewohnheitsmäßig als Nationalsozialist eingeordnet sieht, wird das seiner Bereitschaft, tatsächlichen Neo-Nazis entgegenzutreten, nicht unbedingt zuträglich sein.

Nach dieser zugegebenermaßen weitschweifigen Vorrede sind wir endlich am Thema des heutigen Artikels angelangt: Emil Nolde.

Die Zufälle der Welt sind oft nicht bar von Humor, da hieß ein seit kurzem (wieder) umstrittener Maler fast wie der streitende Historiker Ernst Nolte... man hätte es wissen müssen! Möglicherweise, oder auch höchstwahrscheinlich, war mindestens Nolde ein - echter - Nazi wie so viele seiner Generation, obwohl das im Einzelfall schwer letztgültig feststellbar ist.

Der Hamburger Bahnhof widmet sich einer diesbezüglichen Neubewertung des Malers, der bislang als entnazifiziert galt. Letzteres zum einen dank der Deutschstunde, Sigfried Lenzens Weltbestseller von 1968, der als Schlüsselroman auf Nolde gemünzt war und als Schullektüre das Bild des Malers durch Jahrzehnte prägte, zum anderen aufgrund der rechnerischen Tatsache, daß Nolde der meistvertretene Künstler in der Ausstellung „Entarteter Kunst“ von 1937 war (man merkt, die Nazis verstanden von Marketing noch weniger als von Menschenrechten: Es gibt keine schlechte Werbung und zumindest die Namen der Künstler schrieb man doch wohl richtig. Dem Popularitätsschub der Verfemten wurde dann konsequent mit Berufsverboten entgegengewirkt).

Bei näherer Betrachtung wird klar, die Wahrheit ist komplizierter und war kurz nach Kriegsende auch bekannt, wurde dann aber schnell bewältigt. Die Bahnhofs-Kuratoren zitieren dazu den Kritiker Adi Behne, der Nolde 1947 einen „entarteten Entarteten“ nannte. Ferner erfahren wir, daß Nolde zwar mit insgesamt 1052 Werken in jener berühmt-berüchtigten Ausstellung vertreten, gut die Hälfte davon allerdings erst 1936 in Museumsbesitz gelangt war, als ein kunstsinniger Schwager von Ribbentrops ca. 350 Druckwerke als Schenkung an das Essener Folkwang Museum gab, dessen Direktor, Klaus von Baudissin, sie gerne annahm und gleich noch das größte Einzelgeschäft des Künstlers zu Lebzeiten abwickelte indem er weitere 100 Werke direkt aus dem Atelier ankaufte, die Sammlung zu vervollständigen. (Trotz aller Widerstände, die ihm unwiderlegbar auch entgegenschlugen, verkauften der Maler und seine Galerien ausgesprochen gut bis zum 1941 erteilten Berufsverbot.)

Als von Baudissim im Folgejahr, 1937, befördert wurde und fortan für das Kultusministerium auf die Jagd nach „degenerierten“ Bilder ging, nahm er seine sorgfältig ko-kuratierten Noldes gleich mit (und wer würde sich die Arbeit nicht erleichtern, wo immer es nur geht? andererseits: nicht jeder beteiligte Funktionär muß die an den Pranger gestellten Bilder wirklich gehaßt haben, manche hofften vielleicht insgeheim auf jene Marketingmechanismen).

Den Informationsgehalt der Ausstellung am Hamburger Bahnhof hätte man sehr gut in einem Fachartikel oder –Buch, einer Vorlesungsreihe, präsentieren können, man wäre sich sicher gewesen, daß beim Rezipienten nicht nur simpelste Botschaften hängenbleiben, hätte jeden Verdacht vermieden, hier wiederhole sich Geschichte unter umgekehrten Vorzeichen. Stattdessen entschied man sich für eine Ausstellung, konnte es aber nicht vermeiden, daß in ihr die Texte dominieren, es mehr zu lesen gibt als zu schauen. Der Diskurs verdrängt die Bilder, an die Wand gerückt von Text, Quellen und Urteil. Die Gefahr im heutigen gesellschaftlichen Klima besteht darin, Emil Nolde bald im Giftschrank wiederzufinden, nicht salonfähig, aus der Art geschlagen, Paria, abgestempelt, ausgesondert aus Diskurs und legitimen Genuß: „Was für’n Scheiß guckst’n du dir da an? Das war’n Nazischwein!“

In einem (neuerlichen) Anfall obszönsten Populismus’ entblödete sich die Bundeskanzlerin nicht, schon einmal zwei Werke aus ihrer Dienststube entfernen zu lassen. Der erste Farbbeutelwurf kunststudierender Antifaler scheint da nur eine Frage der Zeit zu sein.

Die Liste der Ausgestoßenen wächst beständig. Auf Mussolinis Lieblinge vom Futurismus trifft man in deutschen Ausstellungshallen nur selten und, um einmal die Genres zu wechseln, Knut Hamsun, Ezra Pound und Céline (p’tain, qu’il était con, p’tain, qu’il était brilliant!) lesen Sie besser nur mit Schutzumschlag - so wie selbst den Zeit seines Lebens Nazi-fernen Ernst Jünger.

Grundsätzlich existieren mindestens drei Möglichkeiten des Umgangs mit (Künstler-)Persönlichkeiten: a) unbedingte Heldenverehrung, b) totale Trennung von Mann und Œuvre (kompatibel nicht zuletzt mit Theorien von dem zwangsläufigen Charakter jeden Werkes, das sich selber, respektive Zeit und Milieu in ihm, schriebe), sowie c) Gleichfalls beschränktes wie schrankenloses Vom-Sockel-Stoßen stürzen beim kleinsten Verstoß gegen anachronistisch angewandte Moralgesetze, welche sich darin in ihrer Allgemeingültigkeit zu bestätigen trachten.

Die „no respect“ Haltung c) ist die heute dominante, von einem unbedingten Glauben getragen, im Besitz jeder letztgültigen Wahrheit zu sein (es ist immer wieder erstaunlich zu beobachten, wie eine zutiefst „rationale“, areligiöse, Zeit naturgesetzlichen Glaubensmustern und einem teleologischen Geschichtsverständnis anhängt). Das Muster läßt sich in Kunst und Kommerz nachweisen, bleibt dabei nicht auf politische Verfehlungen beschränkt, sondern reicht bis in die Privatsphäre. Die Masse genießt es, ihre Helden erniedrigt zu sehen, läßt sich nur ein Detail der Biographie – nicht des Werkes, wohlgemerkt - nicht mit den eigenen Moralvorstellungen in Einklang bringen. Es gilt, alles beständig auf kontinuierliche Kompatibilität mit dem eigenen Weltbild zu untersuchen – oder besser noch, von "kompetenten Stellen" untersuchen zu lassen - und gegebenenfalls zu verwerfen. Die Zeiten von Freiheit und Sonderstellung sind vorüber, Kunstschaffende müssen sich hüten, sich nicht unvermittelt und auf Lebenszeit „auf der Strafbank“ wiederzufinden (oder zumindest bis zum Mea Culpa, einer öffentlichkeitswirksamen Selbstkritik). Wann erschallt das #hetoo, Picasso aus dem Kanon zu säubern? Wer getraute sich noch, Kevin Spacey als großartigen Schauspieler, Harvey Weinstein als fähigen Filmproduzenten zu bezeichnen? In Pop und -Kultur ließe sich die Liste lange fortführen, von Cellini und Caravaggio bis Chaplin, Jackson, Gainsbourgh, ja mindestens bis zurück zu Walter vun der Vogelweide und seiner Stalkerbande. Ein Phänomen, das mehr Aufmerksamkeit verdient.

Galt der Künstler, der schöpferische Mensch, einst als Idol, dem vieles nachgesehen wurde, so findet sich diese Ansicht heute in ihr Gegenteil verkehrt. Eifersüchtig auf den Fehltritt wartend, bejubelt aber beargwöhnt die Masse jene die es wagten aus ihr hervorzutreten, denn "alle sind gleich" und niemandes Ausnahme gehört mehr geduldet, da Leistung und Funktion Talent und Sein ersetzen. Damit verbunden stehen miteinander unvereinbare Auffassungen von der Kunst: Selbstzweck mit eigenen Regeln oder Mittel zur Unterhaltung, ein Zeitvertrieb, der als nützlich oder gefährlich zu bewerten ist. Es mag sich um logische Fortentwicklung des demokratischen Bewußtseins oder ein Indiz für den Umschlag von Demokratie in Ochlokratie handeln, läßt sich jedenfalls aus übergeordneten Entwicklungen ursächlich erklären, zu denen die Masse als Prinzip ihrer Selbst zählt. In Einklang mit der immer rasanter voranschreitenden Entzauberung der Welt, der Macht, der Imagination, verliert der schöpferische Mensch seine Nützlichkeit und Funktion, es darf nur sein, und „wahr“ sein, was nicht menschengemacht ist, da jener sich in und durch die Masse entwertet findet. Menschgemachte Realitäten sind „unwahr", „das gibt es nicht" (von Kunst zu unterschiedlichen Kulturen mit je eigenen Gesetzen statt einer globalen Zielgruppe, zu unterschiedlichen Geschlechtern statt eines einzigen Genders: das alles gab es nur, solange man daran glaubte und „Mensch“ als über-natürlich definierte; sich nicht bloß zähl- und handelbare Fakten gestattete). Nichts ist Zweck, denn nichts menschengesetztes darf mehr Zweck sein. Dazu ließe sich einiges mehr sagen, doch ist hier nicht der richtige Ort. Zurück zur Ausstellung:

Wie im vorigen erwähnt, findet sie sich von Worten dominiert, ist in weiten Teilen eine Textschau, bietet dabei aber auch einen Überblick über die Karriere des Künstlers angefangen mit einem Selbstportrait von 1899, noch ganz in klassischem Stil gehalten. Emil Nolde verkörpert auch den innerkunstweltlichen Kampf zwischen Tradition und Moderne, der damals noch neu und unentschieden war. Als Deutscher der Zeit kultivierte Nolde seine Abneigung gegenüber dem „Erbfeind“ Frankreich, eine Einstellung, die sich nicht zuletzt in der Konkurrenz von Expressionismus und Impressionismus widerspiegelte. Als Nolde mit der Tradition brach, kam als Alternative für ihn nur die "deutsche" Form der Moderne infrage. Kennen tat er die Konkurrenz zumindest aber auch: Das expressionistische Verlorene Paradies (1921) wirkt näher an seiner Gegenwart und Gauguin als an der im Titel evozierten Vergangenheit William Blakes. Der Skandal, den das Werk auslöste ist heute schwer nachvollziehbar, doch galt es mit den primitivistischen – fratzenhaften - Gesichtern als bahnbrechend, war auch in keiner Weise mit dem Geschmack der Mächtigen kompatibel und sollte jenen immer wieder zum abschreckenden Beispiel dienen.

An der Berliner Nationalgalerie (die damals wohl noch ein einzelnes Museum war, keine obskure Vereinigung diversester Ausstellungshäuser) ließ der 1933 von Hitler persönlich ins Amt protegierte Eberhard Hanfstängl einige Werke Noldes in der Sammlungspräsentation austauschen, gilt aber trotz allem als treuer Bewunderer und mußte 1937 selber das Feld räumen. Zu den von ihm explizit geduldeten, sogar neu gehängten, Gemälden zählen die vom Blauen Reiter beeinflußten Junge Pferde (1919) mit Wolkengebirgen und van Gogh aufgreifende Reife Sonnenblumen (1932).

Was soll man von den hier die Wände bedeckenden Zitaten Noldes und anderer halten, “Der Führer ist groß und edel in seinen Bestrebungen und ein genialer Tatenmensch. Nur ein ganzer Schwarm dunkler Gestalten noch umschwärmen(sic!) ihn, in einem künstlich erzeugten Kulturnebel“ (aus einem Brief von 1933). Wo das Wort nicht frei ist, kann es auch nicht ohne Vorbehalte ernstgenommen werden, und erinnert der Stil nicht zumindest ein kleines bißchen an Widmungen und dergleichen Ehrbezeugungen mehr? War das aufrichtige Bewunderung oder feinspüriges Kalkül ganz früh schon, im Bewußtsein, die neuen Herrscher würden eine Weile an der Macht bleiben und es wäre angeraten, sich ihnen gemein zu machen? Ein Gegenzitat des frischgewählten Reichskanzlers und baldigen „Führers“ zeugt zumindest nicht von übermäßiger Gegenliebe: „Nolde, das Schwein! ... Wir haben heut die Macht und das Geld und sie bekommen nicht einen Auftrag von mir (...) Was er malt, sind doch immer Misthaufen.“ (man lese es in der typischen Diktion eines auf Laternenpfähle einredenden Obdachlosen). Des jungen Schickelgrubers Stil war bekanntlich ganz anders, als er noch in Öl malte, nicht in Blut.

Gibt es eine Beständigkeit, dann die, daß Noldes Position umkämpft war. Innerhalb des Systems hatte er Fürsprecher (die von ihm verkannten „dunklen Gestalten“?) - und Gegner, so verbot etwa das Innenministerium eine geplante Ausstellung für die das Propagandaministerium umgehend grünes Licht erteilte – Goebbels selbst wird allerdings mit den Worten zitiert: "Ist Nolde ein Bolschewist oder ein Maler. Thema für eine Doktorarbeit“.

Stellt man fest, Emil Nolde sei Antisemit gewesen, so ist das so richtig wie unfair. Richtig, da ein kaum bezweifelbarer Fakt und unfair, weil es – leider - auf eine große Mehrheit nicht nur der europäischen Bevölkerung jener Jahre (und früherer Jahrhunderte) zutraf. Wären alle Antisemiten automatisch auch Nazis gewesen, hätten jene den Krieg womöglich schon vor dem ersten Schußwechsel gewonnen, mangels wehrhafter Gegner. Unterzöge man alle klassischen Maler des Mittelalters einer diesbezüglichen Gewissensprüfung, fände sich der Kanon wohl deutlich verschlankt wieder. Sollte nicht das Werk für sich stehen, unschuldig am Weltbild seines Erzeugers, es höchstens nur bezeugend?

Nolde stimmte also in den Chor derer ein, die eine jüdisch-dominierte Kunstkritik und Galerienszene angriff (Anmerkung: grundsätzlich darf die Dominanz ein Fakt sein. Sie rechtfertigt dennoch nicht das folgende; man sollte niemals Nennung und Wertung verwechseln), stritt auch viel mit Max Liebermann und nutzte nach '33 die Chance, diesen als Juden bloßzustellen.

Wurde das Verlorene Paradies noch als eine „falsche deutsche Religiösität“ darstellend verfemt, schien es einige Jahre später opportuner, sich direkt einer anderen Glaubenswelt zu widmen und so fertigte Nolde 1938 drei großformatige Wikingerbilder (derer zwei 1945 von der Roten Armee vernichtet wurden) – Bayreuth florierte schließlich wie nie zuvor. Nordische Motive finden sich auch unter den später so genannten „ungemalten Bildern“, deren viele gar nicht ungemalt blieben und die sich nicht unbedingt zum Beleg einer inneren Emigration eignen: Zeit seiner Karriere fertigte der Maler Aquarellskizzen an, sie später auf Leinwand zu übertragen – oder eben nicht. Zumindest die gewählten Themen waren nicht alle inkompatibel mit den Machtverhältnissen.

Noldes Wikingerportraits unterscheiden sich in den Farben nicht signifikant von den Reifen Sonnenblumen, in den Formen nicht von der Sünderin (1926), einem weiteren vormals abgehängten Bild. Es ging gar nicht so sehr darum, sich seine Motive vorschreiben zu lassen, sondern um seinen Stil selber und den wollte oder konnte er nicht hinreichend ändern, selbst wenn er die Ideologie mitgetragen hat.

Emil Nolde versuchte aktiv, seine Fremdwahrnehmung zu steuern, der „Worte am Rande“, Tagebuchbetrachtungen zu Zeit und Welt, vernichtete er viele und wählte andere zur posthumen Veröffentlichung. Das kann man ihm vielleicht am ehesten vorwerfen: die unverhältnismäßige Beschäftigung mit kunstfremden Themen, überhaupt sich zu äußern, statt das Werk für sich selbst sprechen zu lassen; den Versuch, sich zum eigenen Vorteil anzubiedern. Spätestens wenn der Wind wechselt, schlägt Opportunismus fehl.

Es lassen sich aber auch kaum valide Argumente finden, Noldes Gemälde plötzlich als betrachtungs- oder ausstellungs-„unwerte“ Kunst abzutun, weil ihr Schöpfer als verbrecherisch verworfenem Gedankengut anhing. Vielleicht legen all die Widersprüche letztendlich nur den Schluß nahe, daß ein Künstler sich von der Politik fernhalten sollte, und Kunstwissenschaftler wie andere Rezipienten im Gegenzug sich nur dem Werk widmen sollten. Wenn Atheisten an Kunst des europäischen Mittelalters Gefallen finden können, warum dann Nolde seine nordischen Götter vorwerfen? Man muß nicht Caesar folgen, um Caesar schätzen zu können.

Das ist nicht alles weiß, das ist nicht alles schwarz, das ist Denken, das ist menschlich.

Und außerdem, und trotz allem: Die Deutschstunde ist wahr, wenn auch nicht wahr.

Emil Nolde: Eine deutsche Legende - Der Künstler im Nationalsozialismus, 12. April-15 September 2019, Museum Hamburger Bahnhof

World of Arts Magazine – Contemporary Art Criticism


 


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