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  • Christian Hain

Berlin Art Week BAW'18 – Die Wiederkehr


(Berlin.) Beginnen wir unsere Tour der diesjährigen Berliner Kunstwoche „Berlin Art Week“ bei NG...irgendwas – einer jener alteingesessenen Berliner Kunst-Vereins-Gesellschaften, die niemand je auseinanderhalten konnte. Dieses Beispiel ist in der Oranienstraße unweit des Kottbusser Tors angesiedelt und zeigt aktuell eine Gruppenausstellung. Den Besucher empfangen Photographien von Menschen in Yogaposen, darunter auch Symbiosen mit Möbelstücken, einem Stuhl etwa (eher kein Werk Erwin Wurms).

Zu Ihrer Linken, homosexuelle “multiethnische” Softpornographie, zu Ihrer rechten ein Photoroman (eher nicht von Jürgen Teller). Letzterer scheint – nein: er spielt tatsächlich in Antwerpen, wie der Auftritt eines “National Paritair Committee Workboek” belegt. Die Bilder folgen einem Müllmann in seinem hippen orangefarbenem Dreß durch den Alltag, von der Arbeit bis zu einem iPad-Kursurs und dem Feierabendbier in einer “arty” Bar (einer der Gäste trägt eine sehr auffällige Gold-Rolex). Verblüffend.

Desweiteren Poster einer möglichen Anti-Drogen-Kampagne, i.e. Nahaufnahmen eines menschlichen Kopfes auf der Wange ruhend, während die Hand einer zweite Person eine glimmende Zigarette aus dem „oberen“ Ohr zieht – oder ist es ein brennender Bleistift?, sowie Kleiderhaufen auf dem Boden (eher nicht von Christian Boltanski, noch Zeugnis ausgedehnter post-Vernissage-Ausschweifungen). Wenn Sie gleich mir schon immer die Ästhetik von Auslegeware zu schätzen wußten, wird Ihnen ein Werk an der rückwärtigen Wand gefallen, bei dem es sich um nichts anderes handelt. Dazu gehört noch ein Gedichtband auf dem Sideboard nebenbei, How to Imitate the Sound of the Shore Using Two Hands and a Carpet (Wie man mit zwei Händen und einem Teppich den Klang der Küste imitiert); der Künstler heißt Cevdet Erek.

Minder oder auch mehr poetisch, ganz nach Ihrem Geschmack: Filmaufnahmen einer Hand, eine Katze liebkosend (ganz wörtlich!). Hatten Sie auch stets etwas für die Ästhetik der Gebärdensprache übrig, anstatt nur – politisch völlig inkorrekt – ihre unfreiwillige Komik wahrzunehmen, könnte ein weiteres Video Ihren Geschmack treffen: Die Choreographie einer Gruppe von Schauspielern oder angehenden Ballettänzern beim Proben einer Vielzahl von Gesten. Den Ton zu jenen Untertiteln in einer Sprache, die kaum einer der Besucher „spricht“ („zeigt“?) steuert eine Computerstimme bei. Sie rezitiert vornehmlich Jahreszahlen, “2011” “2010”, “2007”, und spätestens als die Akteure beginnen, nicht Luftgitarre, doch Luft-Wii zu spielen, begreifen wir, Thema hier ist die Gestensteuerung von Computern und anderen Geräten. Faszinierend, für eine Weile zumindest. (A.d.R.: Ich gestehe, ich kam ein wenig verspätet zu diesem Treffpunkt der BAW Pressetour mit einem Luxusbus der manch eine Rockband in Neid erblassen ließe und verpaßte daher sämtliche Erklärungen zu den ausgestellten Werken; das muß grundsätzlich natürlich kein Nachteil sein).

Nächste Station: DAAD mit einer Ein-Film-Schau, einem guten allerdings: Lawrence Abu Haman hat uns etwas mitzuteilen zum Thema „Mauern“. Während der Künstler über einen amerikanischen Gerichtsprozeß, ein syrisches Staatsgefängnis, und Oscar Pistorius berichtet, werden die Filmbilder, auf eine Glaswand projiziert, regelmäßig von Spiegelungen des Betrachters und der Straßenszene ihn seinem Rücken überlagert. Die Cameo-Auftritte Abu Hamans („Sohn von Haman!“ - Arabisch für Anfänger) – Korrektur: in der Kunst heißt es Selbstporträt – mit „Ich bin intellektuell“-Brille wirken auf die Dauer leicht ermüdend. Er konnte offensichtlich nicht widerstehen, sein Gesicht oftmöglichst vor die Kamera zu halten. Wäre seine Stimme nicht genug, uns durch die Ereignisse zu führen? Gefilmt wurde in einem Tonstudio, das, wie wir aus der Ausstellungsdokumentation erfahren, einst von Radio Free Europe genutzt wurde, einer Institution, die unsere Propaganda hinter den Eisernen Vorhang schickte (noch eine Mauer, im Wortsinne zum Teil).

Der US-Justizfall betraf „Kiffer Kyle“, der in seinem Wohnzimmer das stärkste Gras der Neunziger Jahre anbaute, wir erfahren von einem Stammkunden und seinen Halluzinationen (/Einblick in die kosmischen Mysterien?) die illusionäre Natur, die Nichtexistenz, aller Mauern betreffend, hinter den Pforten der Wahrnehmung.

Die Justizbehörden nutzten Militärausrüstung, um Kyle zu überführen, indem sie durch die Mauern seines Hauses schauten, und damit seine von der US-Verfassung garantierten Rechte brachen. Über ein Jahrzehnt nach Beginn des Prozesses wurde Kyle freigesprochen (die Natur des amerikanischen Justizsystems stellt sicher, daß die Kosten der Verteidigung die Gewinne aus seinen einstigen Geschäften zur Gänze aufzehrten, und wäre er Mr. Nice höchstselbst). Das amerikanische Gesetz schützt die Unverletzbarkeit aller Mauern, gegen seine eigenen Vollstrecker zumindest (offiziell; was kümmert es die NSA...). Gleiche Beschränkungen sind für private Unternehmen am Bilde Googles eher nicht bindend, noch gelten sie für die wenigen, und ganz und gar irrelevanten, nicht-US-Staatsbürger in der Welt. Mit der richtigen Technik ist jede Wand aus Glas.

Der syrische Khan Bashar al-Assad ließ sich den "Mercedes unter den Gefängnissen" nach DDR-Plänen bauen (tatsächlich der Spitzname in interessierten Kreisen, und es ist nicht einmal ein Panoptikum!). Die patentierte Bauweise garantiert die Allgegenwart jeden Tones bei gleichzeitiger Verschleierung der Quelle. Ein ehemaliger Insasse berichtet von täglichen Auspeitschungen und Bastonaden in bester Osmanentradition (auch Syrien wurde einst von der Hohen Pforte regiert), jeder Gefangene wußte den Klang zu identifizieren, nie jedoch das Opfer. Nebenbei bemerkt: Du weißt, du hast (zu?) lange in Berlin gelebt, beginnen deine Beine im Baß jener Soundeffekte zu zucken.

(Die allgemeinen Haftumstände scheinen nicht grundsätzlich verschieden von dem Leben, dem Kyle um Haaresbreite entging, und das soll keine Entschuldigung des Syrischen Vollzugssystems sein; Haft und Menschenrechte sind zwei Begriffe, die sich in den USA eher ausschließen).

Schlußendlich das reale Remake von Auf der Flucht, nur daß der (vermeintliche) Killer hier nicht einarmig, sondern keinbeinig ist: Oscar P. Wir vernehmen die Stimme einer (unzuverlässigen „Knall-“, wie der Jurist sagen würde!) Zeugin, als sie im Gerichtssaal in jener Nacht gehörte Schreie imitiert. Pistorius nutzte die „bewaffneter Einbrecher im Bad“-Verteidigung (nichts), und im Kontext all dieser künstlerischen Reflektionen über Wände, Mauern und Privatsphäre...: Gibt es eine treffendere Metapher für den Lebensabschnittspartner?

Weiter zu Spectrum, einem von Berlins zahllosen Projekträumen. Dieser ist ein Café-Bar-Projektraum und einer der wenigen, wenn nicht gar der einzige, der Eintrittspreise erhebt. Das Ausstellungsprogramm ist nicht besser (oder schlechter) als das jener unzähligen anderen, eintrittsfreien, Projekträume. Spectrums kuratorische Richtlinien könnten von der Schering Stiftung kopiert sein, „Überlappungen von Kunst und Wissenschaft“, usw.

Derzeit gibt es eine nette kleine Installation zu bewundern, mit Lautsprechern und Kabeln, die ganz Efeuartig eine Wand hinter dem Cafégestühl überwuchern. Eine zweite Installation wartet im Keller, wo ein Mitarbeiter den Gast in vollständiger Dunkelheit empfängt und ihm mit einer Taschenlampe einen freien Platz anweist (der Zutritt ist auf je acht Personen gleichzeitig beschränkt). Er trägt eine Infrarotbrille (oder zählt Katzen zu seiner näheren Verwandtschaft, fühlt sich vielleicht auch nur zuhause in Darkrooms) und erklärt die wissenschaftlichen Hintergründe des kommenden Kunstwerks in wiederhergestellter Finsternis: Das Sehen von Geräuschen ist nicht mehr länger nur Synästhetikern vorbehalten: Ist es nur laut genug in einer bestimmten Versuchsanordnung, werden in mikroskopisch kleinen Blasen gefangene Tonwellen auf mehrere tausend (vorsichtige Schätzung) und mehrere zehntausend (weniger vorsichtige, und potentiell auch weniger seriöse, Schätzung) Grad aufgeheizt, um endlich blitzartig zu implodieren. ... Und wenn jene lumineszierenden Tiefseefische nun einfach jeden Morgen eine Schüssel scharfen Bohneneintopfes äßen...? Laut macht Licht.

Die Kuratoren ließen sich noch beifällig über den Vormarsch des Schwarms gegenüber dem Individuum aus, in den modernen Begrifflichkeiten von „starken Communities“. (Die Entwicklung der künstlichen „Intelligenz“ zu einem Zeitpunkt, da die Menschheit jegliche menschliche Kreation als überflüssige Irrationalität wegrationalisiert, scheint beileibe kein Zufall zu sein). Und soviel zum ersten Teil der diesjährigen BAW'18-Frontberichterstattung. Mehr folgt. Bald.

Berlin Art Week, mit NGBK, DAAD, und Spectrum, alle Ausstellungen setzen sich die üblichen vier bis sechs Wochen fort

World of Arts Magazine – Zeitgenössische Kunstkritik


 


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