(Berlin.) Art Berlin ist noch immer nicht die fiac, frieze, oder – ok, wir hören ja schon auf. Es ist was es ist, die beste Kunstmesse, die man in einer Stadt wie Berlin mit viel Angebot aber keiner Nachfrage erwarten kann. Die Ausstellerliste liest sich wie jedes Jahr, vielleicht sogar noch ein bißchen mehr “Berlin/Deutschland und Gäste” als früher. Aber wir wollen uns auf die positiven Aspekte konzentrieren, denn die gibt es tatsächlich: Zum Beispiel die neuen Örtlichkeiten auf dem früheren Flughafen Tempelhof inmitten der Stadt, ein Brachland fanatisch verteidigt von denselben Menschen die sich sonst bei jeder Gelegenheit über steigende Mieten beschweren. Ein Berliner Paradoxon, das uns hier aber nicht weiter beschäftigen soll - Geschieht auch nichts mit Tempelhof, so geschieht nun wenigstens etwas auf Tempelhof. Die beeindruckende Architektur ähnelt dem Berliner Olympiastadion, und tatsächlich wurden beide auch in derselben Ära gebaut. Sagen Sie, was Sie wollen, aber da ist etwas an Nazi Architektur, das... nein, Stop, es ist ein schmaler Grat.
Nicht nur die art Berlin ist umgezogen, der kleine Stiefbruder (/große Konkurrent) Positions tat das gleiche, und wohl nicht ganz freiwillig - man äußert sich immer noch sehr zufrieden mit dem ehemaligen Standort am Ostbahnhof - sondern von Behörden "ermuntert". Der neuen Nähe unbenommen halten beide an der bitteren Rivalität fest, so amüsant und ärgerlich das dem Außenstehenden auch erscheinen mag. Den aB-Verantwortlichen ist für die Notwendigkeit zu danken, einen – Positions-finanzierten - Shuttle Service zwischen den Hangars in Anspruch zu nehmen, wo ein nahtloser Übergang mit Leichtigkeit zu bewerkstelligen gewesen wäre. Man bevorzugt, den ehemaligen Haupteingang des Flughafens ungenutzt zu lassen. Jener Shuttle Service bedient sich eines Oldtimer Feuerwehrwagens, der zugegebenermaßen mehr Spaß macht als er komfortabel ist.
Es gibt Gründe für diesen ausgemachten Willen zur Distinktion seitens der aB, namentlich die eher bescheidene Qualität früherer Positions. Nicht ganz unverständlich, wenn man sich nicht mit der verarmten Verwandtschaft assoziieren möchte - schlimmstenfalls verwechselt noch jemand Hauptgericht und Küchenabfälle.
Etwas allerdings ist anders in diesem Jahr: Dies sind die besten Positionen, die ich jemals gesehen habe. ... Gut, lassen mich Sie das umformulieren, denn Singular und dem Wörtchen „Messe“ sind in diesem Kontext nicht ganz unwichtig: Die diesjährige Messe Positions könnte die beste aller bisherigen Ausgaben sein.
Zugegeben, es gibt sie noch, jene Momente da man sich einem vertraut wirkenden Kunstwerk nähert, nur um festzustellen: „das ist nicht Francis Bacon, das ist ‚Justine Otter’“, „nicht Bernard Buffet, sondern ‚Klaus Süß’“, „‚Tina Heuter’ statt Giacometti“ usw. Das geht soweit, man wundert sich, ist das nun ein echter Balkenhol oder ein weiterer „im Stile von“, den die Stiftung Telefonseelsorge da zur Benefizauktion anbietet (Auflösung: er ist es nicht!). Zuweilen gibt es auch beide zu bewundern, beispielsweise im Fall von Julian Opie - die Originale sind am Stand der DavisKlemmGallery (dieLeertasteistfürLoser).
Und auch manche Perle harrt der Entdeckung, Künstler wie Martha Pohlmann Kryszkiewicz (keine Garantie auf korrekte Orthographie) bei der Galerie Drei Ringe: Digitale Photo-Collagen/Gemälde, Daniel Poller bei der Galerie Poll: Überarbeitungen historischer Drucke, oder das obligatorische chinesische Supertalent mit Li Trieb bei der Galerie Commeter: großartige Bleistiftzeichnungen von Wasser und Schnee, oder Gegenständen unter dem Mikroskop. Sogar die hölzerne, kopfförmige, Skulptur Lars Zechs, ebenfalls bei Commeter – schon der Geruch, so frisch und natürlich! Galerie 100 Kubik zeigt Ignacio Llamas mit denselben Werken, die wir hier schon vergangenes Jahr bestaunt haben, und in dem davor. Immer noch nett anzuschauen und jetzt ergänzt um größere Formate. Hoffen wir, daß sie endlich einen Käufer finden; ja in der Tat: Damit sind Sie gemeint! Der Künstler verdient es.
Während der vergangenen Tage, Wochen, und Monate wurde viel geredet in Berlin über das Thema „Erdogan kommt“, mit nervigen Straßensperren und mehr Polizei noch als Störenfrieden. Das steht natürlich in keinerlei Zusammenhang mit Künstler Gökhtan Erdogan bei der Galerie Heike Strelow. ErsguterJunge.
Maus Contemporary zeigt die spanische Photographin und Malerin Irene Grau. Ausgehend von der Beobachtung – und monochromen Fotographie in einer Qualität die in bestem Sinne an Zeichnungen erinnert – einer Furche in einem Kliff, kreierte sie eine Serie abstrakter Bilder für die sie die Leinwand halb in Farbkübel tauchte. In anderen Werken nutzt Grau die Asche zerstörerischer Waldbrände oder läßt ein weißes Quadrat mit Hotelzimmern interagieren. Letztere Serie existiert in zwei Versionen, mit und ohne die ungefüllte Präsenz. Nur wenn sie rote, blaue und gelbe Formen im Raum ablichtet, könnte man sich ein wenig (zu sehr) an George Rousse erinnert fühlen.
Gewisse Absurditäten gehören zur Kunst und zum Kunstgeschäft, so der Galerist, der da lautstark versichert, die Messen „folgten unterschiedlichen Konzepten“: Positions fördere den Erstmarkt, während die aB sich mehr dem zweiten widme. Dann Chagall, Pechstein, Baumeister, Liebermann, Ury, Miro, Dix, Grosz, sogar Pablo an den Ständen des Kunsthandels Draheim und der Galerie Kunkel zu entdecken, oder Lüpertz and Polke am Stand der Galerie Osper. Alles Positions, wohlgemerkt.
Auf der aB findet sich mehr vom Guten und weniger des... weniger Guten. Interessanterweise formuliert man hier das Ziel, „den deutschen Kunstmarkt zu stärken“, das könnte genau das bißchen regionalen Denken zuviel sein. Wer wirklich zählen möchte, muß mit den großen Jungs aus der Fremde spielen, die bringen dann ihre reichen (Sammler-)Freunde mit und am Ende gewinnen alle. Nur wenn die großen Jungs nicht einmal Ihre Einladungen öffnen... Das schmerzt.
Manch eine Galerie bei aB hält noch an dem Ein-Künstler-Konzept vergangener Zeiten fest, während es auf der anderen Seite nun auch - äußerst ungewöhnlich für eine Handelsmesse - geteilte Länderstände nach Weltausstellungsmuster gibt, diverse österreichische und brasilianische Galerien teilen sich je einen Stand und nein, Ropac finden Sie da nicht, oder irgendwo sonst in der weitläufigen Umgebung Berlins. Noch Nächst St Stephan/Schwarzwälder und Mendes Wood (Basel Stammgast Luisa Strina allerdings ist hier, und sogar in der Sammelbox – Glückwunsch, aB!).
Im großen und ganzen gibt es bei der aB keinen Anlaß zum Fragespiel „echt oder Fanboy“ - was wie Fred Sandbaek und George Condo bei der Galerie Ikeda aussieht sind auch Fred Sandbaek und George Condo bei der Galerie Ikeda. Axel Anklams überdimensioniertes Küchensieb bei Alexander Ochs Private – wo ist der Stand von „Alexander Ochs öffentlich“? - zieht die Blicke auf sich, genau wie Art N More (Paul Bowler&Georg Weißbach), die bei der Galerie Sperling kindisch-bunte Dinosaurier und lateinische Bonmots, schwarz auf weiß, aufeinandertreffen lassen. Selbst rosafarbene, kopfstoßende, Triceratopse wissen: „Pecunia non Olet“! Verblüffende Konfrontationen, und Lateinkenntnisse sind an und für sich kaum weniger nutzlos als ein Abschluß in Paläontologie. Man könnte noch einen Zusammenhang konstruieren mit Fabian Knechts Photoarbeit Genitiv bei der Galerie Alexander Levy: Das Bild eines Mannes der (sich) vom Dach eines historischen Gebaüdes stürzt. Persönlich bekomme ich bislang nur Schreikrämpfe, wenn ich im Radio die Ansage "Das Kulturradio vom RBB" höre. Wer des Gebrauchs des Genitivs zu blöde ist, der - und ganz wichtig, ja heute ungleich wichtiger für Journalist/Innen als das Beherrschen/-Damschen der Sprache: "/die" möge sich bitte jeden Kommentars zur Kultur, die mit und in der Sprache überhaupt erst beginnt, enthalten. Den Dreck finanzieren im übrigen unsere Zwangs-Pay-TV/Radio-Abgaben.
In einer mehr zufälligen Gegenüberstellung trifft eine riesige Schwarz-Weiß-Zeichnung Karin Sanders (jetzt erst recht: Rettung des Genitivs!) bei der Galerie Esther Schipper auf Tacita Deans kaum weniger monumentales Septychon bei der Galerie Niels Borch Jensen gegenüber. Die Tafelzahl des letzteren übertrifft gar noch Christoph Ruckhäberles farbenfrohes Sextychon (mexikanisches Wandbild im Eurostil) bei der Galerie Kleindienst. Collagen sind klasse, jeder mag Collagen oder sollte das zumindest. Zum Beleg: Olaf Metzel und Ioan Grosu bei der Galerie Jahn und Jahn.
Innehalten am Stand der Galerie Societé: Ist das Kitsch oder- ja, es ist Kitsch. Aber gutgemachter Kitsch, bunt und in 3D. Behalten Sie die Frage auf Wiedervorlage für Peter Zimmermann bei Galerie Samuelis Baumgarte und, weniger dringlich, aber digital, ein Kollektiv namens SEO bei der Galerie Michael Schultz. Deren Werke zierten nebenbei bemerkt einige der sonst kaum auffindbaren roten Punkte auf der Messe.
Und dann doch noch einmal jene andere Frage...: Nein, das sind keine Photographien von Hans Bellmer Puppen bei der alles in allem ausgezeichneten Galerie Dittrich&Schlechtriem, sondern eine Kooperation von Roger Ballen und Asger Carlson. Dazu zeigt man im Kontext seiner Ausstellung in der Berlinischen Galerie stehende Bikini-Photos von Julien Charrière.
Suchen Sie den Zweitmarkt, finden Sie auch den, er ist aber zumindest gefühlt weniger vertreten als auf der Positions; mit Warhol, Wesselmann, Lichtenstein bei Galerie Benden zum Beispiel. Besondere Erwähnung muß noch Taschen finden, das Verlagshaus für Werke, die mehr dazu gedacht sind, auf Beistelltischchen drapieren denn gelesen zu werden, und seit neuestem wohl auch eine Galerie. Seit seinen bescheidenen Anfängen mit einem Comicbuchladen in Köln hat Benedikt Taschen die Kunst perfektioniert, soviel Geld wie nur irgend menschenmöglich aus allem zu pressen, das noch irgendwie zwischen zwei Buchdeckel passen könnte. Es ist die hohe Kunst der Verpackung.
Bücher waren immer beides, physisches Objekt und Inhalt, und für Taschen... sagen wir es einmal so: der Inhalt ist nicht das entscheidende.
Das Imperium läßt jetzt Photographien tibetanischer Tempelmalerei sowie aller jemals gebauten Ferraris (mit Ausnahme einiger weniger zerstörter Prototypen, Rennwagen und sonstiger im Nebel der Geschichte verunfallter Einzelanfertigungen) drucken und zeigt beide Bände in Berlin Seite an Seite. Nur einer ist vom Dalai Lama handsigniert.
Dieses tibetische Werk ist „eines der größten und luxuriösesten Bücher die jemals gedruckt wurden“ (wohl auch eines der teuersten) und dennoch: blättert man es einmal durch, wirkt es merkwürdig... unwertig. Eher an die Papierqualität eines heimgedruckten Posters erinnernd als an bibliophile Preziosen. Ist man hier eigentlich ein politisches (i.e. geschäftliches) Risiko eingegangen, oder sind die chinesischen Sammler im Buchbereich gar nicht so einflußreich wie anderswo? Marketing research hat das doch wohl hoffentlich vorab gecheckt?
Zum Ferrarikompendium ist anzumerken, daß es gerade rechtzeitig kommt für das Weihnachtsgeschäft, als Gutscheinheft für den Kunstsammler. Sein Motorenförmiges Präsentationspult ist darüberhinaus ein Blickfang in jedem Raum. Sie möchten jetzt aber nicht über Geld sprechen? Wie es einst bei einem nicht-wirklich-Mitbewerber des Hauses hieß: Wer fragt, kann es sich nicht leisten. Aber gut, da wir hier unter uns sind: Tibet geht für zehntausend das Stück, in einer Hunderter-Auflage; Ferrari sind 25 Mille, Aufl. 250. Entscheiden Sie selbst, welches die bessere Investition für Ihre Karma ist.
Ferraris Wartelisten können sich bekanntlich mit denen der besten New Yorker Galerien messen, hier bleibt jedoch unklar, wieviele lustige Taschen-Bücher Sie bereits Ihr Eigen nennen müssen, um für die Ehre, Geld auszugeben, infrage zu kommen. Möchten Sie aber für den Fall der Fälle schon heute mit dem Sparen beginnen, verzichten Sie auf das überteuerte Messeessen auf der aB und greifen stattdessen zur Currywurst für drei Euro im Außenbereich der Positions, freie Sicht auf das Flugfeld inklusive.
Hervorzuheben ist auch der Stand der Galerie Eigen + Art mit mathematischen Zeichnungen Carsten Nicolais, die bereits im Sommer in der Galerie zu bewundern waren. Der Galerist verdient ein Extralob für seine Anwesenheit am Sonnabend nachmittag, als er sich höchstselbst dem Wochenendpublikum widmete, ein Vorgang, den bezogen auf die Nachbarstände selbst die phantasiebegabteste Künstlernatur als geradezu grotesk verwerfen würde.
Jenes Wochenendpublikum war sicherlich besonders fasziniert von dem Tony Oursler Solo bei der Galerie Hans Meyer. Lassen wir das einfach mal so stehen.
Zum Ende noch zwei Stände: Galerie Jo van de Loo mit einem Ensemble von Zeichnungen, Kriegsspielzeug und Reliefs (fast wie die etwas mehr historischen im Treppenhaus des Schinkel Pavillons) von Andreas Chwatal, alles sehr grau, alles sehr gut. Das Leitmotiv – der Gesamteindruck ist sehr narrativ – könnte in Richtung hominus homini lupus est gehen, eventuell sind es aber auch nur autobiographische Notizen. Nicht einmal arg teuer (Ha! habt eure Liste auf dem Tisch vergessen!). Und Tabari Art Space aus Dubai mit strengen und klaren Photographien, Gemälden und Collagen von Hazem Harb.
BMW kümmert sich um die Fahrbereitschaft der VIPs, ganz wie Audi (auf) die Berlinale fährt. (Nicht so) Seltsam: Die Daimler Art Foundation scheut jede Verbindung zur Berlin Art Week, der ihre muß der einzige Ausstellungsraum in ganz Berlin sein, der in dieser Woche keine Eröffnung feiert.
Nicht Oddset sondern Outset, eine Schweizer Stiftung, bedankte sich für das freundliche Entgegenkommen derjenigen Galerien, die es ihr ermöglichten, zwei der ausgestellten Werke zu erwerben, welche sie sogleich an das MMK Frankfurt weiterreichte (stiftete oder dauerverlieh?). Für den unschuldigen Kunstliebhaber unter Ihnen: Einer Galerie kann kaum etwas besseres passieren, als ein Werk in einem renommierten Museum zu plazieren.
Die zeitgleich stattfindenden Eröffnungen der Messe-Galerien „zuhause“ verwischten den Unterschied zwischen BAW und GWB weiter. In der Stadt setzte sich dabei ein bedenklicher Trend dieses Jahres fort: Die Art Week Berlin 2018 fühlte sich nicht unbedingt überlaufen an. Schon am Dienstag hielt man vergeblich Ausschau nach den Massen, die sonst zu vergleichbaren Anlässen die Auguststraße verstopfen und mit der Ausstellung, die die KW jeweils eröffnen, nur sehr bedingt zu tun haben. Ähnliches ließ sich am Freitag abend in der Potsdamer Straße beobachten: Niemand da, oder jedenfalls nicht mehr als an einem durchschnittlichen Eröffnungsdonnerstag außerhalb von BAW oder GWB oder welchem Kunst-Festival auch immer. Kann einen stutzig machen.
Bevor dieser Artikel (zu) ermüdend wird, nur noch diese Informationshäppchen: Die imaginäre Auszeichnung für das meistphotographierte Werk geht an Marjetica Potrčs Skulptur bei der Galerie Nordenhake, rund und aus Verkehrszeichen. Und es gibt ein Außengelände bei der aB, das man wunderbar für ein aB(-asel) Unlimited ähnliches Projekt hätte nutzen können. Hätte. Drei oder vier verlorene Skulpturen sind nicht mehr als ein halbherziger Versuch.
Art Berlin und Positions, 27.-30. September 2018
World of Arts Magazine – Zeitgenössische Kunstkritik
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