(Berlin.) Herbst in Berlin, so mancher denkt da voll Sehnsucht an die Sonne und das Meer (bitte nicht den Klimawandel!), geht stillschweigend darüber hinweg, wenn Mehmet in aus Heimweh gespeister geistiger Abwesenheit Döner-mit-nur-Zwiebeln statt Dürüm-mit-alles-ohne-Zwiebeln einpackt. Denkt sich dann, es sei mal wieder Zeit, ins Museum zu gehen, auf andere, weniger regennasse Gedanken zu kommen und siehe da: Selbst der Hamburger Bahnhof zeigt Cevdet Eret, Künstler aus der Türkei – und potentiell auch Türke. Allerdings, sicher können wir uns da nicht sein, vermeidet man am Bahnhof doch jede Nennung seiner Nationalität. Der Name scheint in ottomanische Gefilde zu deuten, wo immer man aber liest und horcht, heißt es nur: „lebt in Istanbul“. Seltsam. Kurde vielleicht? Oder aus anderen Gründen nicht gut auf den Lan im Präsidentenpalast zu sprechen? Eret effendi spricht jedenfalls kein Wort deutsch (nein, nicht einmal “EyDiggaIschwör”). Seine Berliner Ausstellung wurde von der Ruhrtriennale Bochum koproduziert, dort auch zuerst gezeigt, und nicht einmal die Kurzbiographie in der Festspieleigenen Promobroschüre enthüllt den Geburtsort, es wird immer rätselhafter. Wir können uns doch sicher sein, daß er einen Paß besitzt, den auch nicht auf einem Boot erworben hat, irgendwo im Mittelmeer? ...Hat er jemals versucht, in die USA einzureisen, für eine Ausstellung zum Beispiel?
Es handelt sich hier im übrigen um die neueste Ausgabe der dreijährlichen Ausstellungsreihe Musikwerke Bildender Künstler und Bergama, der Titel, ist nicht etwa die jetzt moderne Bezeichnung für das von den alten Römern (oder genauer: früher schon, den Cenomanen) gegründete Bergamo in Norditalien: „Bergamo*a (m/w/d)“, sondern türkisch für "Pergamon" und zwar sowohl die antik-griechische Siedlung wie auch die neuzeitliche Stadt nahe der Ägäisküste.
Bergama besteht nur aus einem einzigen Werk, dazu treten diverse Veranstaltungen während der Laufzeit. Ausgangspunkt ist der berühmte Pergamonaltar, seit seiner Ausgrabung und Rekonstruktion in den 1890ern Jahren in Berlin befindlich, wo er momentan wegen Umbaumaßnahmen nicht gezeigt wird. Stattdessen bietet man dem Publikum gleich zwei Kopien: Eine auf der Museumsinsel und dazu Cevdet Erets, nennen wir es, um im Kontext zu bleiben, einmal „Remix“, am Museum Hamburger Bahnhof. Eret übersetzte das Original in ein anderes Medium, in Ton (keine Töpferei: das andere Teekesselchen!). Auch eine physisch-skulpturale Komponente bleibt bestehen, ein ungefährer Nachbau des Originals ganz aus Lautsprechern, schwarzem Plastik statt weißen - potentiell einstmals auch bemalten - Marmors. Einzelne Boxen fallen mit Andersfarbigkeit aus der Reihe, sind z.B. purpur, sollen darin aber nicht auf bestimmte Bausteine des Pergamonaltars verweisen. Alle sind keine Attrappen, sondern erfüllen ihren Zweck: Ein bekanntes Teil des Pergamon-Altars ist der Gigantomachie-Fries, den Krieg zwischen Göttern und Giganten in vielen blutigen Details illustrierend. In einer Art Synästhesie ersetzt Cevdet Eret nun Sicht durch Gehör, aber Achtung: Das ist abstrakter als ein Hörbuch, klingt sehr nach minimalistischem DJ Tool. Nehmen Sie sich Zeit, halten Sie inne oder schlendern Sie um das Werk, aber vor allem: Hören Sie zu. Das Konzept der Sinfonie, der abstrakten Oper, ist faszinierend. Elektronische Elemente treffen auf Folklore und Gitarren, bis hin zu Death Metal Rülpsern. Abhängig davon, wann Sie eintreten, mögen Ihre Eindrücke andere sein, bei mir begann es mit weißem Rauschen, bevor ich “dideldidd dideldidd didel dippdipp dimm” notierte (hey, das ist verständlicher als Notenschrift!) und endlich “bä bä bä bä bäbäbä” (das war der Death Metal). Und unterdrücken Sie einen mittlerweile ganz natürlichen Reflex: Zwecklos, hier zu Shazamen, lassen Sie das Handy in der Tasche. Jeder Ton reflektiert ein Bild, eine Szene aus dem Fries, schade, daß wir die Installation nicht unmittelbar mit dem historischen Original vergleichen können. Der Hamburger Bahnhof ist im Besitz einer Großphotographie aus der Kamera Thomas Struths - somit selbst ein Kunstwerk - und entschied sich gar, diese einmal wieder aus dem Archiv hervorzuholen, hängte sie dann aber nicht neben, oder wenigstens nahe der Installation, sondern einige Räume weiter in den Seitenflügel.
Auch ein anderer Kritikpunkt kann nicht verschwiegen werden: Das ist alles zu leise, viel zu leise. Zwar versprach man, zur hoffentlich wieder überfüllten Eröffnung den Regler hochzudrehen, ansonsten aber bleibt dem Besucher nur, auf leere Hallen zu hoffen und vor allem das Fernbleiben geführter Gruppen, von Kindern und Pensionären, die sich in erster Linie (über die Kunst) austauschen möchten. Auf Nachfrage beschied man mir, der Künstler hoffe so unerwünschten Echos zu entgehen und das ist interessant: Hatte man nicht eben noch das Schwinden aller größeren Ausstellungsflächen in Berlin lamentiert, dabei implizit wohl auch an den auslaufenden Mietvertrag für die Rieckhallen gedacht? Das ist natürlich berechtigt, aber andererseits: Wenn man schon einen der letzten Riesenräume für Kunst sein eigen nennt, die Hamburger Bahnhofshalle, ist es da klug, ihn an eine unterdimensionierte Installation zu vergeuden, eine Soundinstallation, die akustisch sogar noch unter ihm leidet?
Cevdet Eret wird hier später ein Konzert geben, in einen musikalisch-schizophrenen Dialog mit sich selbst und seiner Installation treten, die seine Melodien aufnehmen und zurückwerfen wird während er ein traditionelles türkisches (? vielleicht auch “traditionell in Istanbul gespieltes”?) Instrument spielt. Unterschiedliche Ären, unterschiedliche Zeiten und Technologien, einmal mehr. Wenigstens dazu kann er die Tiefe des Raumes nutzen und seine Bühne in gebührendem Abstand errichten.
Stellt sich auch der Besucher weiter entfernt zum Soundaltar, mag sein Blick nach oben wandern gen Deckenfenster, er dahinter eine Fahne erspähen (und liebe Westberliner, jetzt bitte nicht gröhlen: “...die Fahne weh’n...nie untergeh’n...“ So gut ist Herthas Tabellenplatz auch wieder nicht). Genaugenommen wehen da sogar zwei Fahnen, je eine links und rechts des Haupteingangs und das ist zur Abwechslung einmal nicht politisch gemeint (ist es nicht, oder?), sondern auf den vollständigen Installationstitel bezogen: Bergama Stereo. Nicht Mono. In diesem Zusammenhang erfahren wir auch noch etwas zur Etymologie: „Stereos“, altgriechisch: „fest, unbeweglich, unbeugsam“. Dichotomie und der dritte Weg des passiv kontemplierenden Zuhörers?
Beständig schwindende Flächen für die Kunst heute, während vor einhundertzwanzig Jahren einem antiken Altar noch sein eigenes Museum errichtet wurde. Das Pergamonmuseum existiert bis heute, wenngleich der Staat, der es in Auftrag gab längst Geschichte ist. Könnte zu denken geben. Ebenso: Rückschau und –besinnung auf die Antike sind inzwischen ganz aus der Mode gefallen, Renaissance und Klassizismus nicht die ersten Begriffe, die man einer globalen Gesellschaft assoziieren möchte, die die Gleichung zu ihrem Credo erhoben hat: „Das ist neu, das muß ich kaufen!“
Cevdet Eret, Bergama Stereo, 19. Oktober 2019-08. März 2020 Museum Hamburger Bahnhof
World of Arts Magazine – Contemporary Art Criticism
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